Für den zweiten Termin der Ringvorlesung „Lehr- und Lernperspektiven“ des Praxiskollegs am 03.11.2016 konnte Prof. Dr. Jörg Wittwer, Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaft und der Abteilung Empirische Lehr- und Lernforschung der Universität Freiburg, gewonnen werden. Er legte den Schwerpunkt seines Vortrags „Kompetenzorientiertes Unterrichten – Was heißt das aus Sicht der Lehr-Lern-Forschung?“ auf die Neuerungen des baden-württembergischen Bildungsplans 2016.
In seinem Vortrag stellte Prof. Dr. Wittwer zwei wichtige Funktionen von Lernzielen heraus: Zum einen konkretisieren Lernziele das jeweilige Wissen, das erworben werden muss, um ein bestimmtes Lernziel zu erreichen (z.B. Wissen über Konzepte oder über Prozeduren). Zum anderen stärken sie die Selbstreflexion von Schülerinnen und Schülern z. B. durch Fragestellungen wie: „Was kann ich schon? Was kann ich noch nicht?“. Er stellte ausführlich ein Instrument der Informationsverarbeitungsanalyse vor. Hierbei wird strukturiert, welche einzelnen Schritte notwendig sind, um das gewünschte Lernziel zu erreichen. Ergänzt wird diese Analyse durch die Voraussetzungsanalyse, die den Blick darauf richtet, welche Vorkenntnisse vorhanden sein müssen, um die einzelnen Schritte durchzuführen. Mit Hilfe dieser Analysen erhalten Lehrkräfte Anhaltspunkte darüber, welche Arten von Wissen Schülerinnen und Schülern erwerben müssen, um ein Lernziel zu erreichen.
Ausgehend von den Lernzielen können für den Unterricht, laut Prof. Dr. Wittwer, dann jeweils spezifische Lehr- und Lernformen ausgewählt werden. Bei der Umsetzung der Lehr- und Lernformen ist es auch wichtig, Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, ihre Aufmerksamkeit auf die lernrelevanten Aspekte des zu vermittelnden Stoffs zu legen und Lernstrategien einzusetzen, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff anregen.
Überdies wurde die Lernerfolgsmessung fokussiert, auch hier bildet das selbstdefinierte Lernziel die Basis für die angepassten Prüfungsaufgaben. Dabei steht die kriteriale Bezugsnorm im Zentrum, da man am festgelegten Lernziel sehr konkret Kriterien formulieren kann, anhand derer man dann möglichst reliabel, valide und objektiv den Lernerfolg feststellen kann.
Eine Herausforderung ist es allerdings, passende Prüfungsaufgaben zu konzipieren. Die in diesen Aufgaben zum Tragen kommenden Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler können nämlich sehr unterschiedlich sein: Sie reichen von dem Erinnern einzelner Informationen über das Nennen von Beispielen für neu eingeführte Konzepte bis hin zur Anwendung von Prozeduren. Prof. Dr. Wittwer betonte, dass Prüfungen nicht nur im klassischen Sinne als Lernerfolgsmessung nach einer Unterrichtseinheit, sondern auch für die Erhebung des Vorwissens von Schülerinnen und Schülern zu Beginn einer Unterrichtseinheit eingesetzt werden können.
Durch die vorgestellten Analysemethoden können Lehrkräfte ihren Einfluss auf das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler gezielt reflektieren und effektiv weiterentwickeln.
In der anschließenden Diskussion mit dem Plenum stand die Sicht der Praxis auf den neuen Bildungsplan im Mittelpunkt. Es wurde kritisiert, dass es dennoch schwierig sei, die neuen Begrifflichkeiten der Kompetenzorientierung von den bislang gebräuchlichen und vertrauten Begriffen der Lernziele klar abzugrenzen.
So zeigte sich einmal mehr, dass der Diskurs zwischen Praxis und Theorie notwendig und für beide Seiten gewinnbringend ist.