„Was bietet die Unterrichts- und Schulforschung für einen qualitätsvollen Umgang mit Heterogenität?“ Der Vortrag von Prof. Dr. Thorsten Bohl der Eberhard Karls Universität Tübingen stellte am 20.10.2016 einen gelungenen Auftakt der Ringvorlesung „Lehr- und Lernperspektiven – Impulse aus der Forschung für Schule und Unterricht“ dar. Über 80 an der Lehrerbildung Interessierte nahmen auf Einladung des Praxiskollegs die Gelegenheit zur Fortbildung wahr, um sich über aktuelle Forschungsergebnisse zu informieren und sie zu diskutieren.
Prof. Dr. Bohl, Erziehungswissenschaftler und Direktor der Tübingen School of Education (TÜSE), stellte in seinem Vortrag verschiedene Perspektiven im Umgang mit Heterogenität in Lerngruppen aus Sicht der bildungswissenschaftlichen Forschung vor.
Essenziell für gute Unterrichtsqualität nicht nur in heterogenen Gruppen ist laut Bohl eine funktionierende Tiefenstruktur (kognitive Aktivierung, Klassenführung, individualisierte Förderung) ebenso wie gelungene Oberflächenstrukturen (Unterrichtskonzept und Unterrichtsmethoden). Schülerinnen und Schüler wirkungs- und kompetenzorientiert zu fördern, gelinge nur, wenn das Lernklima und die gesamte pädagogisch-didaktische Struktur konzipiert ist und mit einer effizienten Klassenführung und Motivation der Schülerinnen und Schüler einhergingen. Prof. Dr. Bohl stellte diesbezüglich zwei Tendenzen heraus: Zum einen profitieren leistungsschwache Lernende aufgrund des Anregungsgehalts tendenziell eher von einer heterogenen Lerngruppe, zum anderen ist für eher leistungsstarke Lernende eine gezielte Konzeption erforderlich, beispielsweise über anspruchsvolle Aufgaben oder zeitweise Angebote in einer homogenen Lerngruppe.
Die Vorstellung der Ergebnisse des Tübinger Forschungsprojekts „WissGem“ zum Umgang mit Heterogenität im Unterricht verdeutlichte die Nahtstelle zwischen Qualität der Einzelschule und der Unterrichtsqualität: Wesentlich sind eine alltagsnahe unterrichtsbezogene Kooperation, ein langfristig angelegtes und verbindliches Fortbildungsmanagement und eine Schulleitung, die dezidiert den Unterricht im Blick hat und Lehrkräfte bei der Unterrichtsgestaltung unterstützt. Prof. Dr. Bohl zog das Fazit, dass auf Ebene des Schulsystems zwar weitreichende Vorgaben gesetzt würden, diese aber nicht allein für die Qualität im Umgang mit Heterogenität entscheidend seien. Im Hinblick auf heterogene Lerngruppen solle der Schwerpunkt eher auf fachspezifische Kommunikation als auf die methodische Einzelarbeit gelegt werden. Auf Ebene des Unterrichts solle man beachten, dass lernschwache Lernende in besonderem Maße inhaltliche und organisatorische Strukturierung benötigen, wohingegen leistungsstarke Lernende ein ihren Kapazitäten entsprechendes Angebot brauchen. Die öfter gehörte Formel, dass Stärkere die Schwächeren mitzögen, genüge zur Förderung der leistungsstarken Lernenden nicht. Individualisierung im Unterricht sei möglich, aber an viele Voraussetzungen geknüpft und insgesamt sehr anspruchsvoll.
Die anschließende Diskussion beschäftigte sich vor allem mit den von Prof. Dr. Bohl vorgestellten Heterogenitätskonzepten und ihrer erfolgreichen Übertragung auf die Unterrichtspraxis. Die Teilnehmer griffen die von Prof. Dr. Bohl dargelegten Konzepte auf und diskutierten die Forschungsergebnisse im Hinblick auf ihre eigenen Erfahrungen.
In einem vorausgegangenen Meet-the-Expert-Treffen vor der Ringvorlesung konnten einige Teammitglieder von FACE mit Herrn Prof. Dr. Bohl individuelle Fragen zu Strukturen und Inhalten der Tübinger School of Education formulieren. Der Vergleich zu den Schwerpunkten des Freiburger Praxiskollegs führte zu einem offenen und kollegialen Austausch.
Hinweis zur Ringvorlesung
Die öffentliche Ringvorlesung wird vom Praxiskolleg des Freiburg Advanced Center of Education (FACE) unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck (Universität Freiburg) und Prof. Dr. Lars Holzäpfel (PH Freiburg) erstmalig im Wintersemester 2016/17 ausgerichtet. Sie richtet sich an alle Interessierten aus dem Bereich Schule und Bildung. Relevante schulische Themen wurden zusammengestellt, die von ausgewiesenen Experten der Unterrichts- und Bildungsforschung in Vorträgen erörtert werden. Anschließende Diskussionen bieten die Möglichkeit eines interessanten Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis. Die Themen knüpfen dabei unter anderem an der Metastudie “Visible Learning – Lernen sichtbar machen” von John Hattie an. In allen Vorträgen wird darauf fokussiert, wie wissenschaftliche Erkenntnisse der Schul- und Unterrichtsforschung direkt von Lehrkräften im Unterricht genutzt werden können. Der voll besetzte Hörsaal und die angeregte Diskussion am Ende des ersten Vortrags der Reihe spiegelten die positive Resonanz und das hohe Interesse am Thema der Ringvorlesung wieder.
Weitere Vorträge folgen zweiwöchentlich donnerstags von 18.00 (s.t.) bis 20.00 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im KG I, 1098 (Platz der Universität 3, Freiburg). Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Für Lehrkräfte ist die Einschreibung über LFB-Online möglich.
Videoaufzeichnung der ersten Ringvorlesung
Weitere Informationen:
Präsentation zum Vortrag von Prof. Dr. Bohl
Ansprechpartnerinnen des Praxiskollegs:
Dr. Barbara Skorupinski
- Koordination Praxisvernetzung
Netzwerk Hochschulpartnerschulen - Tel: +49 (0)761/203-5498
- Email: barbara.skorupinski@zv.uni-freiburg.de
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