Mathe für alle 2020 goes online – Was wir aus der erstmals online veranstalteten Tagung gelernt haben

Die Herbsttagung „Mathe für alle“ ist seit Jahren eine feste Größe im Lehrkräftefortbildungsangebot des Instituts für Mathematische Bildung (IMBF) der Pädagogischen Hochschule Freiburg (PH), zu der sich regelmäßig zwischen 150 und 250 Lehrkräfte und Fachberater*innen anmelden. Im pandemiegeprägten Jahr 2020 ist ein Zusammenkommen vieler Menschen in den Räumen der PH, die sich gemeinsam über unterrichtspraktische Arbeitsinhalte beugen, sich über didaktische Impulse austauschen und sich im Mathecafé quer durch die Schulstufen vernetzen, nicht möglich. Dies hielt die Organisator*innen jedoch nicht davon ab, sich auf die neue Situation auszurichten und das zu wagen, was 2020 auch alle Lehrkräfte ad hoc leisten mussten: Lehren aus der Ferne.

Das Konzept

So ging das IMBF zusammen mit dem Zentrum für Lehrkräftefortbildung (ZELF) mit „Mathe für alle 2020“ neue Wege mit einem Konzept, das komplett online realisiert wurde: über einen Zeitraum von 6 Wochen bot die Veranstaltungsreihe mit einem Eröffnungsvortrag, acht Workshops und zwei Austauschforen jeweils nachmittags ein vielfältiges Live-Online-Programm für Lehrkräfte aller Schularten, abgerundet durch ein virtuelles Tagungscafé, in dem man unkompliziert an “Stehtischen zusammen stehen” und sich unterhalten kann. Wie immer waren auch Multiplikatoren*innen, Lehrkräfteausbilder*innen, Referendare*innen sowie Studierende angesprochen.

Prof. Dr. Bärbel Barzel (Foto: Lars Holzäpfel)

Prof. Dr. Bärbel Barzel der Universität Duisburg-Essen gab im Eröffnungsvortrag „Entwicklung algebraischen Denkens in der Schule – mit und ohne digitale Medien“ einen spannenden Einblick in ein forschungsbasiertes Konzept zum Lernen von Algebra über die verschiedenen Jahrgangsstufen hinweg.

In den Workshops boten die Referent*innen vom sprachintegrierten Unterricht zu Prozenten über Wahrscheinlichkeiten in der Primarstufe, Unterrichtsmaterialien für den inklusiven Mathematikunterricht, Beziehungen trigonometrischer Funktionen, digitalen Escape Rooms, Problemlösen in Zeiten von Corona und „Mathe in der Krise“ bis zu Leitideen des Bildungsplans als Grundlage für ritualisierte Kopfübungen einen bunten Strauß an reizvollen Themen für den Mathematikunterricht.

Die Erfahrungen

Die erste Erfahrung war, dass sich die Interessent*innen erfreulicherweise darauf einließen. Um die 200 Anmeldungen gingen ein und bald zeigte sich auch, dass die bislang regional begrenzte Tagung bundesweit Anklang fand: aus fast allen Bundesländern sowie aus Österreich und der Schweiz meldeten sich Mathematiklehrkräfte zu den Workshops an, die ihr Interesse geweckt hatten.

Aus den jeweils nach den Veranstaltungen durchgeführten Evaluationen lassen sich mehrere Beobachtungen ableiten:

1. Diejenigen, die mitmachen, haben einen Gewinn.

Wir haben unter anderem nach der Einschätzung der Teilnehmer*innen gefragt, ob sie im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen mehr, weniger oder genauso viel gelernt haben und welche Komponenten dazu beigetragen haben, dass Sie etwas mitnahmen bzw. welche Komponenten dies verhinderten.

Beim Hauptvortrag gaben 80% der Befragten an, genauso viel gelernt zu haben wie in Präsenzveranstaltungen; die restlichen Antworten teilen sich zu gleichen Teilen auf in „mehr“ und „weniger“. Für die Workshops – in welchen die Interaktion im Vergleich zum Vortrag eine größere Rolle spielt – gaben die Hälfte bis drei Viertel der Teilnehmer*innen an, genauso viel gelernt zu haben wie sonst in Präsenzveranstaltungen. Die Anderen haben nach eigenen Angaben zumeist weniger gelernt, in jedem Workshop gab es aber auch Teilnehmer*innen, die angeben, mehr gelernt zu haben, in einem Workshop sogar alle – nachvollziehbarerweise bildet dies die unterschiedlichen Herangehensweisen in den Workshops ab.

2. Synchrone Angebote werden präferiert.

Auf die Frage, ob synchrone oder asynchrone Online-Vorträge präferiert werden, waren sich die Befragten einig: „synchron ist realistischer, man nimmt sich bewusst Zeit und schiebt es nicht, man nimmt echt teil“, „Die Interaktion im Anschluss ist mir wichtig, damit ich das Gehörte verarbeiten kann“. Manche wünschten sich eine zusätzliche Aufzeichnung: „damit ich bestimmte Inhalte erneut hören/sehen könnte, denn die Infos kamen sehr schnell.

3. Bestimmte Komponenten fördern oder hindern das Online-Lernen.

Spannender wird es, wenn wir schauen, welche Komponenten aus Sicht der Teilnehmenden das Lernen gefördert oder behindert haben:

Etliche Rückmeldungen befassen sich mit Elementen, die sowohl für Präsenz- als auch für Online-Formate relevant sind, z.B. „gut strukturierter, gut formulierter und gut vorgetragener Beitrag in angemessener Länge“, „sehr hohe fachliche Kompetenz und super vorbereitete Folien“, oder „Konkretisierungen an Aufgaben, die ich direkt ausprobieren kann“, „Teilnehmer-Orientierung des Referenten“ sowie „Nähe zur Schulrealität UND Sicht auf die wissenschaftlichen Forschungen im Bereich der Didaktik.

Speziell hinsichtlich des Online-Formates nennen die Teilnehmenden als unterstützende Elemente z.B. die größere Konzentration: „Ich war dichter an der Präsentation, weniger Ablenkung möglich“; „Durch das online-Format fällt es mir leichter, konzentriert zu bleiben“; das Vorgehen, den vertonten Vortrag vorab zur Verfügung zu stellen, um dann virtuell darauf aufzubauen; die praktischen Interaktionsphasen durch verschiedene Tools und Kleingruppen („Dadurch wurde man angeregt, aktiv mitzuarbeiten“) sowie „die guten Vorabinformationen zur Technik und dem Format“ und die gut funktionierende Plattform und Übertragung.

Bei den genannten Komponenten, die das Lernen erschwert haben, liegen technische Probleme vorne: zum einen von Seiten der Teilnehmenden, z.B. PC Update, Schwierigkeiten beim Einloggen, im Spam gelandete Materialien; zum anderen von Seiten der Organisator*innen, z.B. zu umständlich bereitgestelltes passwortgeschütztes Arbeitsblatt.

Manche Teilnehmende äußern das Bedauern, dass der virtuelle Austausch nicht an die Spontaneität, Qualität und Atmosphäre von Gesprächen face-to-face heranreicht. Es gibt Hinweise darauf, dass sich dieses Phänomen abschwächt, wenn in Kleingruppen ein „lebendiger“ Austausch passiert, das bedarf der Beobachtung in weiteren Veranstaltungen. Außerdem gibt es auch Personen, die ganz im Gegensatz zu denen, die mehr Konzentration erleben, sich während einer Online-Veranstaltung leichter ablenken lassen.

4. Online-Formate können die Reichweite erhöhen.

Was wir auch beobachten, ist eine Erweiterung des Teilnehmer*innenkreises um Personen, für die eine Ganztagsveranstaltung in Präsenz (derzeit) nicht realisierbar ist: “Das Online-Format hat mir die Teilnahme erst ermöglicht.“ Möglicherweise haben wir durch das Online-Format auch Teilnehmer*innen „verloren“ – dies können wir natürlich nicht direkt beobachten. Doch durch die Tatsache, dass man keinen ganzen Tag investieren muss, erhöht sich die potenzielle Reichweite. Mehrere „kleine“ Einheiten, die sich verteilen, sind ja zunächst unabhängig von Präsenz oder Distanz. Aber: man würde nicht für 90 Minuten anreisen – das macht den Unterschied.

Die Herausforderungen

Für die Referent*innen ergaben sich aus dem virtuellen Format einige spezielle Herausforderungen: Trotz freundlicher Aufforderung blieben auch in den Interaktionsphasen, in denen es auf den Austausch ankommt, die meisten Kameras der Teilnehmenden aus – hierdurch ergibt sich ein anonymerer Charakter und es ist für die Workshopleiter*innen schwieriger, Stimmungen, Zustimmungen, Ablehnungen, Fragen etc. wahrzunehmen. Der „Beziehungsaufbau“ ist schwieriger. Das gilt natürlich auch für die Teilnehmenden untereinander.

Ein Artefakt der Online-Veranstaltung ist außerdem, dass sich einige Teilnehmende mehrfach einloggen, um auf unterschiedlichen Geräten jeweils Ton oder Bild zu nutzen. Problematisch wird dies bei der Kleingruppenarbeit, wenn plötzlich solche „Dummys“ in der Gruppe sind, was die Anderen irritiert oder die Personenzahl in der Kleingruppe zu stark senkt. Hilfreich ist an dieser Stelle ein Hinweis darauf, dass dies vorkommt und genügend Personen in die Kleingruppen einzuteilen.

Bildschirmansicht des Virtuelles Tagungscafés

Was wir mitnehmen

Unabhängig der Qualitätskriterien, die gleichermaßen für Präsenz- und Onlineformate gelten, stellen wir für virtuelle Veranstaltungen fest: Unabdingbar ist die Basis einer stabilen Technik und einer guten Bild- und Tonqualität. Die Teilnehmer*innen vorab zu Technik und Format zu informieren und ggf. auch mit (vertontem) Material zu versorgen, auf das man im synchronen Treffen aufbaut, lohnt sich. Die technischen Möglichkeiten zur Interaktion (Chat, Whiteboard, virtuelle Arbeitsblätter und fachbezogene Tools etc.) sowie Kleingruppen zu nutzen, erweist sich als aktivierend, praktisch und sinnvoll. Viele Personen haben bereits Erfahrung mit den verwendeten Tools, andere nicht. Daher ist jeweils zu Beginn eine kurze Instruktion zur Plattform hilfreich: z.B. wie melde ich mich, ohne den Referent*innen ins Wort zu fallen, wie zeige ich Zustimmung / Ablehnung, wie trete ich Kleingruppen bei, wo finde ich den Chat etc.

Noch wichtiger als in Präsenzveranstaltungen ist es, den Teilnehmenden die Scheu zu sprechen zu nehmen: Zwischenfragen stellen, sie immer wieder auffordern, Fragen zu stellen, Kleingruppen mit konkreten Arbeitsaufträgen einbauen und die Beteiligten zu virtuellen Reaktionsmöglichkeiten ermuntern.

Schließen wir mit dem Zitat eines*r Teilnehmenden, der/die in der Evaluation zunächst die Schwierigkeiten herausstellte, um dann zu enden mit „Dennoch vielen Dank für dieses Angebot, denn die Alternative wäre gar keine Fortbildung.

Weitere Informationen

Tagungsprogramm Kurzversion

Tagungsprogramm Langversion

Tagungsprogramm auf der Mathe-für-alle-Website

Rückblick auf „Mathe für alle“ 2019

Kontakt

mathefueralle@ph-freiburg.de

lehrerfortbildung@ph-freiburg.de