Die pandemiebedingte Vorgabe der Universität, alle Lehrveranstaltungen künftig nur noch digital durchzuführen, stellte Nadine Saxinger, Dramapädagogin am englischen Seminar der Universität Freiburg, vor große Herausforderungen. Wie sollte sie als Theaterpädagogin ein praktisches Theaterseminar als Online-Veranstaltung gestalten? Wie gelingt nonverbale Kommunikation, wenn aufgrund der Bildschirmgröße lediglich mimische Gesten transportiert werden können? Wie funktioniert Kommunikation auf Abstand im Allgemeinen? In Ihrem Beitrag schildert Nadine Saxinger wie sie begann, in der Digitalisierung eine Chance zu sehen, und wie sie das zunächst unmöglich scheinende Vorhaben doch noch zu einem Erfolg machte.
Das Sommersemester startete ungewöhnlich und stellte den Hochschullehrbetrieb vor neue Herausforderungen, denen sich alle Lehrbeauftragte stellen mussten. Die Nachricht erreichte uns am 26. März 2020: ALLE im SoSe 2020 angebotenen Lehrveranstaltungen sollen so konzipiert werden, dass sie auch als Online-Veranstaltung durchgeführt werden können.
Wie sollte ich als Theaterpädagogin ein praktisches Theaterseminar als Online-Veranstaltung gestalten?
Das von mir konzipierte Seminar im Sommersemester 2020 war als Tandemseminar für Studierende und Fremdsprachenlehrkräfte ausgeschrieben. Dabei sollten beide Seiten voneinander profitieren: als Auftakt war ein gemeinsamer Workshop geplant, in dem die Studierenden und Lehrkräfte in die Welt der Dramapädagogik eingeführt werden und theaterpädagogische Methoden kennenlernen. Im Anschluss hätten die Studierenden eine performative Doppelstunde entworfen, die sie im Juni in den Klassen praktisch durchführen sollten. Es kam anders. Die unvorhersehbare Pandemie erforderte es, das Seminar neu- bzw. umzugestalten.
Ich stand vor einer großen Herausforderung mit vielen Fragen.
Bislang lebten meine Seminare von der Präsenz. Mein Konzept des Fremdsprachenlernens durch Theater verbindet die nonverbalen Aspekte der Kommunikation mit verbalen Äußerungen, die letztendlich zur Schlüsseldisziplin des authentischen Sprachgebrauchs, der Improvisation, führen. Wie können authentische, spontane Sprachhandlungen initiiert werden, wenn diese nur digital stattfinden?
Wie gelingt nonverbale Kommunikation, wenn aufgrund der Bildschirmgröße lediglich mimische Gesten transportiert werden können? Wie funktioniert Kommunikation auf Abstand im Allgemeinen?
Die Fragen ließen meine innere kritische Stimme laut werden: Das geht doch nicht! Ein Ding der Unmöglichkeit! Ich will so etwas nicht! Ich kann das nicht!
Theater braucht Präsenz, oder?
Im ersten Gespräch mit meinem Vorgesetzten machte ich meinem Unmut Luft und schloss ein Theaterseminar in digitaler Form aus. Trotz aller Gespräche und Überlegungen war uns letztendlich klar, dass selbst mit Einhaltung der Corona-Regeln eine Präsenzlehre in der gewohnten Form nicht möglich ist. Ich wollte und musste es also wagen …
Wie heißt es so schön: wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Auf einmal war ich motiviert, in der Krise eine Chance zu sehen, das Unmögliche möglich zu machen.
Ich bereitete also mein Theaterseminar virtuell vor. Hochmotiviert teilte ich den Semesterplan mit den Studierenden und war voller Tatendrang.
Dann kam der Tag der ersten virtuellen Sitzung. Ich war aufgeregt wie selten zuvor. Als würde ich das erste Mal unterrichten, zurückversetzt in meinen ersten Theaterworkshop vor knapp 10 Jahren. Damals stand ich auch genauso verloren im physischen Raum, wusste nicht, wohin mit mir und meiner Stimme, hoffte einfach nur, dass was Gutes dabei rauskommt. Genau wie dieses Mal.
Ähnlich wie im Präsenzseminar begann meine erste Online-Sitzung mit einem musikalischen Intro – die Studierenden waren sichtlich verwirrt. Auf das Intro folgte die Begrüßung. Und schon mit dem ersten Wort meinerseits ploppten Mitteilungen im Chatraum auf:
“I can’t hear you.” “I have a poor connection.” “My camera is not working.” “Could we change to Zoom?” “Sorry, I got kicked out.” …
Ich war überfordert von den Kommentaren, verlor den roten Faden, versuchte, gleichzeitig technische Probleme zu lösen, meine Unsicherheit zu überspielen und den Seminarablauf einzuhalten. Mein innerer Unmut wuchs mit jeder Sekunde.
Am Ende meiner ersten Sitzung war ich erschöpft. Ich beendete das Meeting, nahm die Kopfhörer aus den Ohren, saß da, in meinem Büro, auf meinem Drehstuhl und fühlte mich niedergeschlagen. Alle Methoden und Elemente, die ich mir zuvor überlegt hatte, scheiterten oder gingen nicht auf. Methoden, die ich vorbereitet hatte, kamen nicht zum Einsatz oder waren absolut fehl am Platz. Fragen, die ich mir für die Diskussion mit den Studierenden überlegt hatte, gingen im technischen Wirrwarr unter. Ich war frustriert. Die innere kritische Stimme hatte Futter bekommen: Ich beende diesen Kurs. So kann Theater nicht stattfinden.
Wahrscheinlich erging es vielen Kolleg*innen genau wie mir. Wir alle mussten uns in dem neuen Format der Lehre zunächst orientieren und neu definieren. Wir mussten alte Grundsätze aufbrechen und neue Methoden annehmen.
Theaterpädagogik digital: Zumutung und Chance
Der anfängliche Unmut verwandelte sich bei mir in Ehrgeiz und Neugier und dem Lehranspruch, Studierenden auch in schwierigen Zeiten Bildung zugänglich zu machen.
Die neue Fragestellung, der ich mich stellen musste, lautete: Wie kann ich meine Theaterseminare digitalisieren und trotzdem interaktiv gestalten?
Mir war klar, dass ich als Theaterpädagogin lernen musste, umzudenken.
Virtuelle Kompetenz zu erlangen, galt nun für mich als Lehrperson wie auch für die Studierenden. Also probierte ich in den folgenden Sitzungen unterschiedliche digitale Werkzeuge aus, ließ die Studierenden in Kleingruppen (Breakout-Sessions) kurze Inszenierungen vorbereiten und war letztendlich jedes Mal von dem Endprodukt überrascht. Das Seminar entpuppte sich als Überraschungspaket mit vielen Synergieeffekten für beide Seiten. Die Teilnehmenden fanden kreative Wege, mit den verfügbaren digitalen Mitteln kleine theatrale Inszenierungen zu zeigen. Dabei wurde mit Nähe und Distanz, Kamera und Mikrofon experimentiert; die Hintergrundbild-Option bei Zoom diente als flexibel einsetzbares Bühnenbild. Ich war beeindruckt von der Kreativität der Studierenden und ihrem technischen Know-How, was auch meinen Horizont erweiterte.
Um den Studierenden doch noch in Präsenz zu begegnen, schloss ich das Seminar am Ende des Semesters mit einem Präsenzworkshop auf Abstand ab. Auch hier war es eine Herausforderung, trotz Abstandsregeln, Hygienevorschriften und Maske, Theater zu machen. Aber auch das funktionierte.
Auch der virtuelle Raum verbindet Menschen
Am Ende des Semesters waren meine anfängliche Skepsis und mein Unmut einer positiven Überraschung gewichen. Natürlich kann und wird Theater im virtuellen Raum das Theater in Präsenz nicht ersetzen, jedoch birgt die Auseinandersetzung mit und in digitalen Lernformen neben den genannten Wermutstropfen auch Chancen. Die Nutzung digitaler Ressourcen bringt Menschen unabhängig von der räumlichen Distanz miteinander in Verbindung, kann sogar zu interkulturellem Lernen beitragen und ermöglicht einen Austausch zwischen verschiedenen Professionen. Es geht darum, neu zu denken, gewohnte Strukturen und Methoden zu überdenken und die neue Herausforderung anzunehmen.
Das kommende Wintersemester wird zeigen, ob das Experiment des digitalen Theaters weiterhin funktioniert und sich gegebenenfalls sogar als eigenständiges Genre etabliert. Vielleicht kann Theater digital dazu beitragen, soziale Distanz zu überwinden bzw. in der sozialen Distanz sich virtuell nah zu sein? Theater funktioniert nicht gleich, sondern anders, aber es funktioniert.
Nadine Saxinger ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Englischen Seminar der Universität Freiburg tätig. Arbeitsschwerpunkte: performative Didaktik in der (Hochschul-) Lehre, Theatermethoden im Sprach- und Fachunterricht.