FACE it – Lehramtsstudierende bloggen über ihr Studium in Freiburg
Digitaler Unterricht und Abstand halten im Musikstudium – wie kann das funktionieren? Tabea Knerner, Musik-Studentin im Polyvalenten Bachelorstudiengang (Hochschule für Musik und Universität), gibt einen Einblick in das Musikstudium in Zeiten von Corona, in das “Üben in Schichten und Singen hinter der Scheibe”, aber auch in die Gefühle, die die Situation in ihr auslöst von “Überforderung, Unsicherheit und Lähmung” hin zu “Ruhe, Zuversichtlichkeit und Optimismus”.
Ein ganz normaler Tag in der Hoschschule – Vor Corona
Aktives Leben, man begibt sich von Unterricht zu Unterricht, trifft Kommiliton*innen und Lehrende im Foyer, holt sich einen Kaffee, unterhält sich. Man geht in die Mensa, isst das einzige Gericht auf der Karte, wünscht allen mit einem Lächeln einen schönen Tag. Man tauscht sich über den Unterricht aus. Manche begeben sich dann zur nächsten Vorlesung an die Uni, essen in der Rempartstraße, andere gehen zum Lernen in die kleine gemütliche MH-Bibliothek. Einige warten an der Pforte auf den Schlüssel zu einem Überaum – die sind schwer zu bekommen und meist den ganzen Tag über von Lehrenden zum Unterricht belegt. Auch im Übekeller wartet man bis zu einer Stunde auf einen Überaum. Aus allen Räumen schallt Musik, Leute unterhalten sich, singen, lachen, reden. Später trifft man sich zur Chorprobe oder übt in kammermusikalischen Besetzungen.
Doch heute ist alles anders
Ich komme mit meinem Fahrrad an der Hochschule an, die Bahn vermeide ich wegen zu vieler Menschen und der Mundschutzpflicht. Der Haupteingang ist gesperrt, stattdessen warten an der kleinen Seitentür mehrere Menschen mit jeweils zwei Meter Abstand. Ich nehme meinen Mundschutz aus dem Rucksack und stelle mich an. Alle treten nacheinander ein. Als ich an der Reihe bin, drücke ich die Klingel und halte meinen Studierendenausweis an den Kartenleser. Mit einem lauten Summen wird der Türöffner aktiviert und ich versuche dir Tür irgendwie mit dem Ellenbogen zu öffnen. So weit so gut. Am provisorisch installierten Waschbecken wasche ich mir vorbildlich ordentlich die Hände. Dann folge ich den Schildern zu meinem Überaum, grüße den Pförtner aus sicherer Entfernung, begebe mich aber ansonsten über die vorgegebenen Wege direkt zu meinem Raum. Auf den Fluren begegne ich niemandem.
Dort angekommen nehme ich erstmal den Mundschutz ab. Falls die Fenster nicht sowieso schon geöffnet sind, lüfte ich erst einmal durch und greife nach den bereitgestellten Desinfektionstüchern. Damit wische ich Türgriffe, Oberflächen und natürlich den Flügel ab, ganz wichtig: die Tasten, was fast schon musikalisch klingt. Ich schließe endlich Türen und Fenster und kann mich nun ganz aufs Üben konzentrieren.
Üben in Schichten und Singen hinter der Scheibe
Vier Stunden steht mir der Raum täglich zur Verfügung – was für ein Luxus im Vergleich zur normalen Raumsituation. Vor ein paar Wochen habe ich, wie einige andere Studierende auch, eine Übemöglichkeit bei der Hochschulleitung angefragt. Diese hat das Ganze dann wirklich großartig organisiert. In drei „Schichten“ darf geübt werden, morgens, nachmittags und abends. Ich bin nachmittags dran und mir steht immer derselbe Raum zur Verfügung. Pro Raum so wenig Studierende wie möglich – der Nachverfolgbarkeit zuliebe. Vorher mussten alle Nutzer*innen Formulare unterschreiben, dass sie sich auch ja an die Hygienevorschriften halten.
Vier Stunden inklusive Pause später: Ich setze meinen Mundschutz auf und verlasse die Hochschule. Draußen treffe ich eine Freundin. Sie hatte gerade Gesangsunterricht. Wie das? Die Hochschule besitzt fünf große Räume, in denen momentan schon Unterricht stattfinden darf. Mit viel, viel Abstand, versteht sich. Auch hierfür gelten strenge Regeln, gerade bei Sänger*innen: Meine Freundin erzählt mir, sie habe, weit entfernt von Korrepetitor und Professorin, hinter einer provisorisch errichteten Plastikscheibe gesungen. Gewöhnungsbedürftig und nicht nur für sie eine Herausforderung. Ich habe in meiner Übezeit heute zwei Videos aufgenommen und sie meiner Klavierdozentin geschickt. Morgen werden wir per Videogespräch darauf eingehen. Bereits in der vorherigen Woche hatte ich eine solche Online-Stunde. Das Feedback zu meinen Videos war sehr detailliert und intensiv – mir hat es sehr geholfen!
Überforderung, Unsicherheit und Lähmung
Diese Gefühle hatten sich in den ersten Wochen der „Krise“ bei mir breit gemacht. Es soll mein letztes Semester werden. Zwei Prüfungen, die ich eigentlich Anfang April hätte ablegen sollen, wurden auf unbestimmte Zeit verschoben – es handelt sich um Chorleitung und Orchesterleitung. Wie wird das kommende Semester aussehen? Werde ich meinen Bachelor Lehramt abschließen können? Wie wird meine Klavierprüfung aussehen? Was passiert mit meiner Bachelorprüfung, die ich in Form eines Lecture Recitals – einer praktischen Prüfung mit wissenschaftlichem Anteil – absolvieren möchte? Wie geht es weiter? Eigentlich hatte ich geplant, im Oktober ein Auslandspraktikum in Jordanien zu absolvieren, doch nach und nach wird mir klar, dass dies wahrscheinlich nicht möglich sein würde. Ich als Person, die Planung liebt und die es vor allem genießt, wenn Pläne aufgehen, fühlte mich verloren. Alles war plötzlich unvorhersehbar, unberechenbar. Man wusste nicht einmal, was in der kommenden Woche passieren würden, geschweige denn im nächsten Monat.
Ruhe, Zuversichtlichkeit und Optimismus
Doch mit der Zeit merkte ich, wie ich in dieser unberechenbaren Zeit wieder zu mir fand – mehr als je zuvor. Ich wurde ruhiger, geduldiger. Ich lernte zu akzeptieren, dass nicht alles nach Plan laufen muss, sondern dass Dinge eigentlich nie so kommen wie geplant. Mir wurde klar, dass das nichts Schlechtes ist, sondern dass ich davon profitieren kann. Wann habe ich schon mal die Möglichkeit, vier Stunden täglich über einen Überaum zu verfügen? Wann kann ich schon mal flexibel von zu Hause aus arbeiten und mein Seminar gemütlich am Schreibtisch mit einem Kaffee in der Hand verfolgen? Wann habe ich sonst die Möglichkeit, nicht immer von Menschen umgeben zu sein und mich auf mich selbst zu konzentrieren?
Jedem geht es anders. Mir ist bewusst, dass nicht jede von dieser Situation profitiert, geschweige denn ihr etwas Positives abgewinnen kann. Ich denke an Menschen, die sich zu Hause aufgrund familiärer Probleme nicht wohlfühlen oder die in finanzielle Schwierigkeiten kommen.
Chancen für die digitale Lehre?
Vor einigen Jahren hatte die Musikhochschule noch nicht einmal eine Online-Plattform. Wieso auch? Das Vorlesungsverzeichnis lag in der Hochschule aus und wenn man einen Kurs belegen wollte, schrieb man der Dozentin oder dem Dozenten eine Mail oder ging einfach hin. So ist klar, dass die Umstellung auf digitale Lehre eine Herausforderung für die MH ist. Doch es sieht gut aus: Instrumentallehrende stimmen sich wegen Einzelunterricht individuell mit ihren Studierenden ab, es werden Aufnahmen gemacht, Videos aufgenommen, über Videocalls unterrichtet und telefoniert. Musikwissenschaftliche Veranstaltungen finden ausschließlich online statt. Sogar Tanz- und Bewegungskurse kann man zu Hause auf der eigenen Matte durchführen. Die Hochschulleitung hat ein umfassendes, vielversprechendes Konzept für das Semester ausgearbeitet. Die wichtigste Aussage: Wir sitzen alle im selben Boot, wir schaffen das gemeinsam! Wir zeigen Verständnis, wir sind flexibel und offen für Neues. Als Studierende kann ich mich nur bedanken für die Mühe, von der wir alle profitieren dürfen!
Was uns fehlt und was bleibt
Was uns fehlt: Es fehlt Kammermusik, Chor, Orchester, gemeinsames Musizieren, das, was Musik doch eigentlich ausmacht.
Doch wir werden irgendwann zurückkehren zum bunten Hochschulleben. Bis dahin bleibe ich geduldig und zuversichtlich. Denn das, was uns verbindet, geht nicht verloren, lässt sich nicht absagen oder verbieten: die Musik. Und wenn wir momentan auch nur alleine Musik machen können oder Aufnahmen anhören: sie begleitet uns, sie lässt uns nicht im Stich.
Tabea Knerner
8. Fachsemester, Polyvalenter Zwei-Hauptfächer-Bachelorstudiengang mit Lehramtsoption (Hochschule für Musik und Universität)
Weitere Informationen:
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Studentische Blogger*innen teilen ihre Meinung zum Lehramtsstudium an der Universität Freiburg und der Pädagogischen Hochschule, für die Sekundarstufe 1 und für das Gymnasium.
Die Blogger*innen verfassen Texte über ihre Eindrücke und Erfahrungen im Lehramtsstudium in Freiburg, die auf der Webseite der School of Education FACE veröffentlicht und über den vierteljährlich erscheinenden Newsletter beworben werden.
Weitere FACE it-Texte der Newsletter-Ausgabe 02/2020 zum Fokusthema “Digital durch die Krise”: