Praxiskolleg Ringvorlesung WS 19/20 „Theater und Schule“ am 30.01.2019
Welchem künstlerischen und welchem pädagogischen Anspruch kann Schultheater gerecht werden? Inwiefern kann Schultheater ein Mittel zum Selbststudium und zur Selbsterfahrung für Schüler*innen sein, und welche Rolle kommt der Lehrkraft dabei zu? Bernd Winter erklärt im Rahmen der Ringvorlesung des Praxiskollegs „Theater und Schule“, worin er die Chancen und Aufgaben aber auch die Grenzen des Schultheaters sieht. „Es geht nicht darum, sich selbst zu spielen, aber doch darum, man selbst zu sein.“
Referent
Bernd Winter arbeitet seit 25 Jahren als Lehrer für Darstellendes Spiel und Musik. Dort hat er zahlreiche schulische und außerschulische Theaterprojekte mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Außerdem ist er Dozent im Bereich Theater und geht der Tätigkeit als Schauspieler, Bühnenmusiker und Autor nach.
Fach „Darstellendes Spiel“ – künstlerische Selbstverwirklichung?
Bernd Winter baut im Laufe seines Vortrags seine Argumentation systematisch auf und beginnt mit der Vorstellung einer Problematik der Theaterarbeit in Schulen, der zufolge sich künstlerischer Anspruch und der pädagogische Arbeitsauftrag eines jeden Lehrers in einem paradoxen Wechselspiel befinden. Hätten Gruppenleiter zu hohe Aspirationen, die eigenen künstlerischen Visionen im Rahmen ihrer schulischen Theatergruppe zu verwirklichen, liefen sie Gefahr, die Bildung und persönliche Entwicklung ihrer Schüler außer Acht zu lassen – eventuell sogar Gruppen zu „verheizen“, die den eigenen Ansprüchen nicht genügten. Bernd Winter hat darauf eine klare Antwort: Das Theater als Schulfach verhindere künstlerische Arbeit. Was aber sollte Schultheater leisten, wohin besteht sein Wert, in einem von Curricula geordneten Unterricht? Im klassischen Verständnis gilt es als Form der humanistisch, psychologischen Seelenbildung: Lehrern sollte es die Möglichkeit geben, Kinder besser kennenzulernen und sie dazu zu animieren, ihre Schüchternheit abzulegen und künstlerisch aktiv zu werden.
Schultheater und die Kunst
Als ein wichtiger Teil der Theaterhandlung dürfe man auch das öffentliche Publikum nicht vergessen, das im Allgemeinen, laut Winter, wenig Interesse und Erwartungen an das Schultheater als „laienhafte“ Form von Theater hegt. Allerdings stellt er die These auf, dass man mit Schülern durchaus künstlerisch ansprechendes Theater herstellen kann, weil Schüler schauspielerisch freier seien als die von einer Ausbildung geformten Profis. Insofern sei Schultheater eine eigene Form, komme dem grundlegenden Wesen von Theater sehr nahe und dürfe nicht das Stadttheater kopieren. Die Freiheit, die der schulische Rahmen gibt, könne einiges mitbringen: Arbeit sei in gewisser Weise freier, natürlicher, weniger routiniert, mit Kindern und Jugendlichen, die mit frischer Leidenschaft an die Sache herangingen. Trotzdem sei eine gewisse professionelle Atmosphäre sehr wichtig. In dieser gehe es einerseits darum, Freiheiten zu geben, aber andererseits Schauspielhandwerk zu vermitteln, auch wenn das Handlungsgeschehen ohne professionelle Ausbildung von Laien nicht genau wiedergegeben werden kann. Schüler seien nicht immer schlecht, zumal auch Begabungen in schulischen Gruppen nicht selten sind. Sie müssten nur animiert und konstruktiv kritisiert werden. Es müsse klar werden: „Nicht du, als Person, bist nicht gut, sondern dein Spiel“. So können auch durchaus sehr gute Aufführungen entstehen, die sich aber auch ernstzunehmender Kritik stellen müssten.
Pädagogik in Theatergruppen
Ist in der Schule nicht der Weg wichtiger als das Resultat, da das pädagogische Handeln nur im Prozess stattfindet? Darauf antwortet Winter: Nein, der Weg sei nicht das Ziel, trotzdem aber ein wichtiger Bestandteil. Im Schultheater hätten Schüler ein Mittel zum Selbststudium, zur Selbsterfahrung, da der Schauspieler mit sich selbst am meisten arbeitet. Man könne das Schauspielhandwerk lernen und erfahren, dass es nicht darum geht, sich selbst zu spielen, aber doch man selbst zu sein. Das Theater handele vom Leben, man solle daher aus dem eigenen Leben schöpfen lernen. Außerdem habe der Text Autorität und die Schüler sollten lernen, sich dem Text auszuliefern und statt mit dem Kopf, emotional an ihn heran zu gehen. Dabei sei aber auch die Vertrauensbeziehung zwischen Schauspieler und Regisseur, zwischen Schüler und Pädagoge essenziell. Er solle sie ernst nehmen, fordern und fördern- in gewisser Weise als „Führer bei Nacht, der das Gelände nicht kennt“. Trotz alledem schließt Bernd Winter mit der Erklärung, Theater sei dennoch keine Pädagogik. Es sei nicht von Curricula, von Lernzielen geprägt und ziele nicht auf persönliche Entwicklung. Schultheater könne nur dann pädagogisch wirken, wenn keine Pädagogik dahinter stünde, wenn man den Dingen seinen Lauf lasse und die Verbindung nach Außen wahre. So könne, seiner Meinung nach, Schultheater lebensverändernd wirken.
Fazit
Leidenschaftlich und mit viel Verständnis für verschiedenste Positionen, aber doch klar positioniert führt Bernd Winter Zuhörende durch seine Thesen. Als studierter und praktizierender Pädagoge und Theaterschaffender hat Winter eine Position inne, aus der er das Konfliktfeld zwischen Lehrauftrag und künstlerischem Anspruch hautnah erlebt. Man spürt, dass er aus langjähriger Erfahrung spricht, die er hier und in der Lehrerfortbildung im Bereich Theater an seine Kollegen weitergibt.
(Siska Antoni)
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