Faszination Teilchenphysik, auch in der Schule! Welches Wissen brauchen Lehrkräfte für einen Unterricht zu den Elementarbausteinen der Materie?

Warum ist Teilchenphysik im Schulunterricht relevant? Wie können Lehrkräfte dabei unterstützt werden, sich Basiswissen zu diesem Bereich der modernen Physik anzueignen oder aufzufrischen? Welche Teilaspekte sind angesichts der Vielfältigkeit und der Komplexität des Themas gegenüber anderen zu bevorzugen? Michaela Oettle trägt mit ihrer Studie, die im Rahmen des Promotionskollegs CURIOUS entstanden ist, dazu bei, diese Fragen zu beantworten.

Worum geht es?

Teilchenphysik ist ein Bereich der modernen Physik, welcher zunehmend an Bedeutung insbesondere für den gymnasialen Physikunterricht gewinnt. Da es in Deutschland bislang keine detaillierten Lehrpläne zum Thema Teilchenphysik gibt, müssen Lehrkräfte häufig selbstständig Unterrichtsinhalte auswählen und sich mitunter aufgrund der Neuheit des Themas im Kontext Schule zunächst einmal selbst Basiswissen aneignen bzw. auffrischen. Viele Lehrkräfte stehen dabei vor der Frage, welche Teilaspekte der Teilchenphysik angesichts der Vielfältigkeit und der Komplexität des Themas gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die nachfolgend beschriebene Studie trägt dazu bei, diese Frage zu beantworten.

Da das Thema Teilchenphysik bislang sowohl aus Sicht der Unterrichtsentwicklung als auch aus Sicht der Lehrkräftebildung kaum erforscht wurde, greift die vorgestellte Studie auf die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Menschen aus der Öffentlichkeitsarbeit sowie von erfahrenen Lehrkräften zurück. Mithilfe dieser Berufsgruppen konnten durch mehrere Befragungen Aspekte der Teilchenphysik identifiziert werden, die zum Fachwissen einer Lehrkraft gehören sollten. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass innerhalb der identifizierten Aspekte herausgefunden werden konnte, welche Themen weniger relevant und welche Themen besonders relevant sind.

Warum ist Teilchenphysik relevant?

Teilchenphysik ist eines der jüngsten physikalischen Forschungsgebiete und zählt als ein Unterbereich zur modernen Physik. Das Thema weckt aus verschiedenen Gründen das Interesse von Schülerinnen und Schülern: Die sich rasant entwickelnde Forschung zur Teilchenphysik spiegelt sich nämlich unter anderem in einem erhöhten Medieninteresse wider, wie beispielsweise in den Berichten zur Entdeckung des Higgs-Bosons[1] 2012 am europäischen Kernforschungsinstitut CERN in Genf oder auch in Serien wie The Big Bang Theory. Warum sollten Lehrkräfte also nicht an die Faszination für die Teilchenphysik anknüpfen, um das Interesse der Schülerinnen und Schüler auch an den physikalischen Sachverhalten im Unterricht zu wecken? Zusätzlich muss Teilchenphysik in einigen deutschen Bundesländern bereits explizit im Unterricht thematisiert werden. So finden sich teilchenphysikalische Themen in den Bildungs- und Lehrplänen von 14 deutschen Bundesländern für die gymnasiale Oberstufe.

Teilchenphysik stellt einen relativ jungen Themenkomplex im Kontext schulischen Physikunterrichts dar. Über die reine Benennung des Überbegriffs „Teilchenphysik“ hinaus findet sich bislang jedoch in keinem deutschen Lehrplan eine detaillierte inhaltliche Ausarbeitung von Lernzielen oder gar ein konkreter Bezug zu allgemeinen Bildungszielen.  Möchte oder muss eine Lehrkraft nun Teilchenphysik im Unterricht thematisieren, so ist sie in der Regel gezwungen, die Unterrichtsinhalte – also die für den Unterricht relevanten Aspekte der Teilchenphysik – selbst auszuwählen. Darüber hinaus muss sich die Lehrkraft aufgrund der Neuheit des Themas im Schulkontext häufig selbst zunächst Basiswissen in der Teilchenphysik aneignen oder auffrischen. Diese Aufgabe erweist sich häufig als schwierige Herausforderung, da es sich bei der Teilchenphysik um ein vielfältiges, besonders komplexes und abstraktes physikalisches Themengebiet handelt.

In der nachfolgend beschriebenen Studie wurden daher schulrelevante Inhalte zum Thema Teilchenphysik erhoben bzw. identifiziert, um betroffenen Lehrkräften einen ersten Ansatzpunkt für die Einarbeitung in das Thema zu geben.

Was ist der Forschungsstand?

Ziel der vorgestellten Studie war also die Zusammenstellung derjenigen Aspekte der Teilchenphysik, zu denen eine gymnasiale Physiklehrkraft idealerweise über inhaltliches Wissen verfügen sollte, um eine Unterrichtseinheit zur Teilchenphysik fachlich adäquat vorbereiten und durchführen zu können. Diese Art des rein inhaltlichen Wissens wird auch als Fachwissen bezeichnet.

Möchte man nun bestimmen, wie das Fachwissen einer Lehrkraft in einem speziellen Fach oder zu einem bestimmten Thema aussehen kann, so versucht die Lehrerbildungsforschung in der Regel den interessierenden Wissensbereich möglichst genau aufzugliedern. Hierzu wird das gesamte für den Schulkontext relevante Fachwissen zu einem Thema noch einmal weiter unterteilt in sogenannte Wissensdimensionen.

Schematische Darstellung des Fachwissens einer Lehrkraft als Produkt der Dimensionen „Wissensarten“ und „Inhaltsbereiche“
Abbildung 1: Schematische Darstellung des Fachwissens einer Lehrkraft als Produkt der Dimensionen „Wissensarten“ und „Inhaltsbereiche“.

In der Forschung werden unterschiedliche Sets von Wissensdimensionen speziell für das physikalische Fachwissen einer Lehrkraft vorgeschlagen (siehe z.B. Kröger, Euler, Neumann & Petersen, 2012; Woitkowski, 2015). Die Dimension Wissensarten beispielsweise findet sich dabei in vielen Ansätzen. Diese Dimension umfasst verschiedene Formen, in denen Fachwissen vorliegen kann. Beispielsweise beschreibt die Art deklaratives Wissen das Wissen über Inhalte und Sachverhalte, während prozedurales Wissen das Wissen über Handlungen und Tätigkeiten wie beispielsweise das Experimentieren beschreibt. Eine weitere wiederkehrende Wissensdimension sind die Inhaltsbereiche, also die verschiedenen inhaltlichen Teilaspekte eines Themas wie zum Beispiel unterschiedliche Themenkomplexe innerhalb der Teilchenphysik. Die Unterteilung des Fachwissens in verschiedene Wissensarten und Inhaltsbereiche können als Achsen in einem zweidimensionalen Koordinatensystem aufgefasst werden und sind schematisch in Abbildung 1 dargestellt.

In der vorgestellten Studie sollte zunächst aufgeklärt werden, wie die Wissensdimension Inhaltsbereiche des Fachwissens einer Lehrkraft für das Thema Teilchenphysik aussehen kann. Diese Dimension überschneidet sich logischerweise im Allgemeinen stark mit den inhaltlichen Vorgaben der Lehrpläne für das betreffende Fach. Da es bislang keine derartigen ausgearbeiteten Vorgaben für das Thema Teilchenphysik gibt, muss die Frage, über welche inhaltlichen Themen Lehrkräfte Bescheid wissen sollten, auf andere Weise beantwortet werden.

Was haben wir gemacht und herausgefunden?

Um zu ermitteln, welche teilchenphysikalischen Themen für das Fachwissen von Lehrkräften relevant sind, wurde die Expertise bestimmter Personengruppen genutzt, die beruflich mit Teilchenphysik zumindest in einem entfernten Schulkontext zu tun haben. Hierzu zählten einerseits Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Teilchenphysikforschung, die zu einem gewissen Anteil ihrer Arbeitszeit in außeruniversitären Veranstaltungen mit Schülerinnen und Schülern oder allgemein mit der Öffentlichkeit zu tun haben. Des Weiteren gehörten Mitarbeitende aus der Öffentlichkeitsarbeit dazu, die beispielsweise in naturwissenschaftlichen oder technischen Museen arbeiten, sowie Menschen aus dem Wissenschaftsjournalismus. Schließlich wurde ebenfalls die Erfahrung von Lehrkräften eingeholt, die bereits Teilchenphysik unterrichtet haben.

Alle Personengruppen außer den Lehrkräften wurden in einem sogenannten Delphi-Verfahren befragt. Die Delphi-Methode (Häder, 2014) stammt aus der Wirtschaft und ist insbesondere dazu ausgelegt, zu einem bestimmten – bislang wenig erforschten – Thema Aussagen treffen zu können. In unserer Studie wurde die Delphi-Methode eingesetzt, um einen Konsens unter den Expertinnen und Experten über die für das Lehrkräftewissen relevanten inhaltlichen Teilaspekte der Teilchenphysik zu finden. Konkret baten wir in drei Befragungsrunden jeweils zwischen 40 und 60 Expertinnen und Experten, die ihrer Ansicht nach zentralen Themen der Teilchenphysik zu benennen und anschließend nach Relevanz für das Lehrkräftewissen einzuschätzen. Die Ergebnisse aus einer Befragungsrunde wurden als Basis zur Bewertung in die nächste Runde gegeben, so dass die Expertinnen und Experten die Chance hatten, ihre Meinung zu revidieren oder zu bestätigen.

Schließlich schätzen zusätzlich 108 Lehrkräfte die vom Expertengremium identifizierten teilchenphysikalischen Themen ebenfalls im Hinblick auf ihre Relevanz für das Wissen einer Lehrkraft ein.

Die Studien mit den Expert*innen haben gezeigt, dass aus ihrer Sicht insgesamt 10 verschiedene Haupt- und 35 dazugehörige Unterwissenskategorien zu dem inhaltlichen Wissen zählen, das Lehrkräfte besitzen sollten. Die 10 Hauptkategorien sind in Abbildung 2a auf der horizontalen Achse dargestellt.

Wie sich herausstellte, gibt es jedoch unter diesen Kategorien Unterschiede in Bezug auf ihre mittlere eingeschätzte Relevanz für das Lehrkräftewissen (siehe vertikale Achse in der Abbildung). Was sollte eine Lehrkraft also auf jeden Fall wissen und was ist weniger relevant? Vergleicht man die mittleren Einschätzungen der Kategorien durch das Expertengremium statistisch miteinander, so zeigt sich, dass die Kategorien „Materieaufbau“ und „fundamentale Wechselwirkungen“ als wichtigste Teilaspekte erachtet wurden, während die Expertinnen und Experten die Kategorie zum Higgs-Boson im Vergleich aller Kategorien für am wenigsten relevant hielten. Dazwischen finden sich verschiedene weitere Abstufungen an Relevanz (siehe farbliche Markierung ebenfalls in Abbildung 2a)

Abbildung 2a: Mittlere Einschätzung der Expert*innen aus Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zur Relevanz teilchenphysikalischer Themen für das Lehrkräftewissen.
Abbildung 2a: Mittlere Einschätzung der Expert*innen aus Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zur Relevanz teilchenphysikalischer Themen für das Lehrkräftewissen. Die Einschätzung fand auf einer sechsstufigen Skala von 1 = nicht relevant bis 6 = sehr relevant statt. „QM, SRT, QFT“ stehen für „Quantenmechanik, Spezielle Relativitätstheorie, Quantenfeldtheorie“.

Interessant ist nun der Vergleich mit der Einschätzung der Lehrkräfte, welche in Abbildung 2b dargestellt ist. Unter den gleichen 10 Hauptkategorien maßen die Lehrkräfte einzig der Kategorie „Materieaufbau“ die höchste Relevanz zu. Die Lehrkräfte sind sich jedoch einig mit dem Expertengremium, dass die Kategorie „Higgs“ am wenigsten Relevanz besitzt. Es finden sich bei den Lehrkräften im mittleren Relevanzbereich ähnliche Abstufungen wie bei den Expertinnen und Experten.

Abbildung 2b: Mittlere Einschätzung der Lehrkräfte zur Relevanz teilchenphysikalischer Themen für das Lehrkräftewissen.
Abbildung 2b: Mittlere Einschätzung der Lehrkräfte zur Relevanz teilchenphysikalischer Themen für das Lehrkräftewissen.

Was heißt das für die Praxis?

Mit der Definition und Einteilung in verschiedene Haupt- und Unterkategorien konnten unsere Studien einen ersten Vorschlag dafür liefern, über welche Aspekte der Teilchenphysik eine Lehrkraft Bescheid wissen sollte. Aufgrund der Relevanzeinschätzungen durch Expertinnen und Experten aus Forschung und Öffentlichkeitsarbeit sowie durch Lehrkräfte kann für die Einarbeitung in das Thema Teilchenphysik die Empfehlung gegeben werden, zunächst einen Fokus auf die Kategorien „Materieaufbau“ und „Fundamentale Wechselwirkungen“ zu legen, gefolgt von den Kategorien „Teilchen“, „Kernphysik und Radioaktivität“, „Teilchenphysik in der Kosmologie“ sowie „Arten von Experimenten in der Teilchenphysik“.  

Die vorgeschlagene Auswahl und Reihenfolge teilchenphysikalischer Themen kann zukünftig unter anderem als Basis für die Entwicklung detaillierter Lehrpläne dienen oder auch als Grundlage zur Umstrukturierung bzw. Verbesserung der universitären Lehramtsausbildung in der modernen Physik.

Interessierte Lehrkräfte, Fachberater o.ä. können die im Lauf des Forschungsprojekts entwickelte vollständige Zusammenstellung und Beschreibungen aller für das Lehrkräftewissen relevanten teilchenphysikalischen Themen auf Anfrage erhalten (siehe unten angegebene Email-Adresse). Weitere Details zu den wissenschaftlichen Studien sind in folgendem Artikel nachzulesen:

Zugehörige Veröffentlichung

Oettle, M., Mikelskis-Seifert, S. & Schumacher, M. (2019). Modellierung des Fachwissens von Lehrkräften in der Teilchenphysik. In C. Maurer (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Bildung als Grundlage für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Kiel 2018. (S. 233). Universität Regensburg.

[1] Das Higgs-Boson gilt als jüngstes entdecktes Elementarteilchen und seine Entdeckung 2012 am CERN erhielt großes mediales Interesse, da seine Existenz viele bis dato nur hypothetische Theorien der Physiker zur Struktur und dem Aufbau der Materie aus kleinsten Teilchen bestätigte.

Michaela Oettle (Dipl.-Phys.)

Pädagogische Hochschule Freiburg
Institut für Chemie, Physik, Technik
und ihre Didaktiken

Kontakt:
E-Mail: michaela.oettle@ph-freiburg.de
Tel.: 0761 682-425

Prof. Dr. Silke Mikelskis-Seifert

Pädagogische Hochschule Freiburg
Institut für Chemie, Physik, Technik und ihre Didaktiken

Literatur

Häder, M. (2014). Delphi-Befragungen: Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden, Deutschland: Springer.

Kröger, J., Euler, M., Neumann, K. & Petersen, S. (2012). Messung Professioneller Kompetenz im Fach Physik. In S. Bernholt (Hrsg.), Konzepte fachdidaktischer Strukturierung für den Unterricht (S. 616–618). Münster, Deutschland: LIT.

Woitkowski, D. (2015). Fachliches Wissen Physik in der Hochschulausbildung: Konzeptualisierung, Messung, Niveaubildung. Berlin, Deutschland: Logos.