Herausforderung Wissenschaftsorientierung im Lehramt: Warum und wie sollten angehende Lehrkräfte Statistik lernen?

Warum ist Statistikwissen für angehende Lehrkräfte relevant? Welche Herausforderungen ergeben sich beim Erwerb statistischer Kenntnisse? Und wie können Dozierende angehende Lehrkräfte beim Erwerb dieser Kenntnisse unterstützen? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Anja Prinz in der Zusammenfassung ihrer Studie zum Thema Wissenschaftsorientierung, die im Rahmen des Promotionskollegs CURIOUS entstanden ist.

Worum geht es?

Mit der aktuellen Reform der Lehramtsausbildung in Baden-Württemberg ergibt sich die Chance, angehende Lehrkräfte künftig optimal auf die vielfältigen Anforderungen des Berufs vorzubereiten. Eine zentrale Anforderung ist dabei die Wissenschaftsorientierung (z. B. Wittwer, Nückles, Mikelskis-Seifert, Schumacher, Rollett & Leuders, 2015). Wissenschaftsorientierung bedeutet, dass Lehrkräfte sich beim Ausüben ihrer beruflichen Tätigkeit an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Wissenschaftliche Erkenntnisse helfen ihnen dabei, das eigene Handeln, beispielsweise beim Unterrichten, zu begründen und zu reflektieren. Deshalb ist mit einer hohen Wissenschaftsorientierung das Ziel verbunden, dass Lehrkräfte ihr Handeln grundsätzlich professioneller gestalten, was sich günstig auf die Bildung ihrer Schülerinnen und Schüler auswirken sollte (Kultusministerkonferenz, 2004, 2014). Typischerweise beruhen wissenschaftliche Erkenntnisse auf der statistischen Auswertung von Daten, die in Untersuchungen erhoben worden sind. Um wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt verstehen zu können, ist es daher wichtig, dass Lehrkräfte ein grundlegendes Statistikwissen besitzen. Somit scheint es nur folgerichtig, Kurse in Statistik und Forschungsmethoden in die Curricula des Lehramts zu integrieren (z. B. Wittwer et al., 2015). Bislang gibt es jedoch wenig Forschung zur erfolgreichen Vermittlung statistischer Kenntnisse im Lehramtsstudium. Welche Herausforderungen ergeben sich für angehende Lehrkräfte beim Erwerb statistischer Kenntnisse? Und wie können Dozierende angehende Lehrkräfte beim Erwerb dieser Kenntnisse unterstützen?

Frühere Studien machen deutlich, dass Lehramtsstudierende häufig Schwierigkeiten beim Lernen statistischer Inhalte haben und oft nur ein unzulängliches Verständnis erwerben (z. B. Estrada & Batanero, 2014). Wie unsere Forschung zeigt, entstehen diese Schwierigkeiten unter anderem deshalb, weil Lehramtsstudierende Fehlvorstellungen zu Konzepten der Statistik wie beispielsweise zum Konzept der Kovarianz aufweisen. Fehlvorstellungen stimmen nicht in allen Eigenschaften, die ein Konzept auszeichnen, mit diesem überein und sind daher normativ falsch. Fehlvorstellungen beeinträchtigen Lehramtsstudierende nicht nur dabei, statistische Inhalte zu lernen, sondern lassen sie auch glauben, viel zu verstehen, sodass sie ihren Lernerfolg überschätzen. Unsere Forschung zeigt jedoch auch, dass Texte, die Fehlvorstellungen explizit adressieren, den negativen Einfluss von Fehlvorstellungen auf das Lernen und die Überschätzung des eigenen Lernerfolgs verhindern können. Das Lesen eines solchen Texts unterstützt dabei sowohl den Erwerb statistischer Konzepte als auch die adäquate Anwendung der Konzepte beim Lesen bildungswissenschaftlicher Forschungsergebnisse.

Warum ist akkurates Statistikwissen relevant?

Falsche Annahmen in Form von Fehlvorstellungen im Bereich der Statistik können das Verständnis und die korrekte Interpretation von Forschungsergebnissen beeinträchtigen. Beispielsweise ist das statistische Maß der Kovarianz eine Kenngröße, welche die Stärke des linearen Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalen beschreibt, zum Beispiel zwischen dem Merkmal „Testangst“ und dem Merkmal „Testleistung“. Die Kovarianz könnte so aussehen, dass eine höhere Testangst mit einer niedrigeren Testleistung einhergeht. Eine weit verbreitete Fehlvorstellung ist jedoch, dass Kovarianz auch einen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen nachweist (z. B. Estrada & Batanero, 2014; Moritz, 2004). In diesem Fall könnte aus dem Ergebnis einer Studie, dass eine Kovarianz zwischen Testangst und Leistung in einem Test besteht, die irrige Annahme abgeleitet werden, dass eine hohe Testangst die Ursache für eine schlechte Leistung sein muss. Diese Annahme ist deshalb falsch, weil es auch sein kann, dass eine schlechte Leistung die Testangst erhöht oder dass ein wechselseitiger Einfluss besteht. Ebenso ist nicht ausschließbar, dass weitere Merkmale eine zentrale Rolle für den Zusammenhang zwischen Testangst und Leistung spielen. So könnte eine hohe Testangst zu Vermeidungsverhalten führen, sodass ein Test möglichst schnell bearbeitet und abgegeben wird. Dies wiederum könnte zu einer schlechteren Leistung beitragen. Kovarianz zeigt demnach lediglich an, dass zwei Merkmale in einer bestimmten Weise miteinander zusammenhängen. Sie liefert jedoch keinen statistischen Nachweis darüber, ob die beiden Merkmale dies auch kausal tun.

Um solche Fehlinterpretationen zu vermeiden, ist es wichtig, angehende Lehrkräfte dabei zu unterstützen, akkurates Statistikwissen zu erwerben. Erfolgt der Wissenserwerb nur oberflächlich, sodass Fehlvorstellungen nicht beseitigt werden oder sogar entstehen, kann dies das weitere Lernen und das Verständnis wissenschaftlicher Ergebnisse nachhaltig beeinträchtigen.

Was ist der Forschungsstand?

Unsere Forschung basiert auf so genannten Conceptual-Change-Theorien (z. B. Chi, 2008; Posner, Strike & Gertzog, 1982). Diese Theorien nehmen an, dass Lernende zu Beginn der Auseinandersetzung mit einem Thema in der Regel bereits Vorstellungen über die zu behandelnden Inhalte besitzen. Diese können durch vorangegangene Alltagserfahrungen (z. B. Interaktion mit Mitmenschen, physische Erfahrungen) oder Bildungserfahrungen (z. B. Unterricht, Materialien wie Lehrbücher) entstanden sein (z. B. Liu, Lin & Tsai, 2009; Smith, diSessa & Roschelle, 1993). Manchmal stimmen solche Vorstellungen allerdings nicht mit den zu erlernenden Inhalten überein. Dann spricht man auch von Fehlvorstellungen. Fehlvorstellungen sind typischerweise fest in den Wissensstrukturen von Lernenden verankert und schwierig zu beheben. Dies liegt daran, dass die Fehlvorstellungen den Lernenden oft nützlich oder korrekt erscheinen, sodass ihnen gar nicht auffällt, dass diese eigentlich falsch sind. Wenn beispielsweise ein Schüler, der ängstlich und unsicher wirkt, schlecht in einem Test abschneidet, könnte dies als Bestätigung für die irrige Annahme, dass Angst die unmittelbare Ursache für eine schlechte Leistung sein muss, aufgefasst werden und die Fehlvorstellung, dass Kovarianz Kausalität nachweist, bestärken. Diese Vorstellung ist aber eben falsch, da andere Erklärungen für den Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden können (z. B. Einfluss über weitere Merkmale).

Um Fehlvorstellungen zu beheben, ist es notwendig, bei Lernenden mentale Umstrukturierungsprozesse anzuregen, was als Conceptual Change (auch Konzeptwechsel oder -wandel) bezeichnet wird. Hierzu müssen Lernende in einen kognitiven Konflikt gebracht werden, der dazu führt, dass sie die Unstimmigkeit zwischen ihrer Fehlvorstellung und dem korrekten Konzept wahrnehmen. Im Vordergrund der Conceptual-Change-Forschung steht demnach die Frage, durch welche Methoden ein kognitiver Konflikt herbeigeführt werden kann (vgl. z. B. Guzzetti, Snyder, Glass & Gamas, 1993; Kendeou & van den Broek, 2007).

Eine bewährte Methode, einen kognitiven Konflikt und damit Conceptual Change auszulösen, ist die Nutzung von speziellen Texten, die als Refutationstexte bezeichnet werden. Refutationstexte sind Texte, die typische Fehlvorstellungen zu einem Thema offenlegen und den korrekten Erklärungen gegenüberstellen. Dazu wird jede Fehlvorstellung typischerweise mit drei Elementen abgehandelt (vgl. z. B. Tippett, 2010): (a) Die Fehlvorstellung wird beschrieben. (b) Es wird explizit gesagt, dass die Fehlvorstellung falsch ist. (c) Die korrekte Erklärung, die die Fehlvorstellung widerlegt, wird gegeben. Studien haben gezeigt, dass Refutationstexte effektiver sind, um Fehlvorstellungen zu beheben und das Verständnis zu fördern, als Standard-Lehrbuchtexte, die einfach nur die korrekten Erklärungen geben (vgl. z. B. Guzzetti et al., 1993; Tippett, 2010). Die Forschung hat sich bislang allerdings auf naturwissenschaftliche Lerninhalte beschränkt, sodass unklar ist, ob die Texte auch im Bereich der Statistik förderlich sind.

Außerdem ist offen, inwiefern Refutationstexte Lernende auch dabei unterstützen, ihren eigenen Lernerfolg richtig einzuschätzen. Wenn Lernende Fehlvorstellungen aufweisen, bemerken sie dies in der Regel nicht und werden sich ihres fehlerhaften Verständnisses nicht so einfach bewusst. Um effektiv selbstreguliert zu lernen, ist es jedoch wichtig, dass Lernende ihr Verständnis zutreffend beurteilen. Selbstreguliertes Lernen bedeutet, dass Lernende Strategien zur Lernzielerreichung wählen und anwenden, ihre Lernprozesse überwachen und einschätzen und die Erkenntnisse daraus für das weitere Lernen nutzen (Götz & Nett, 2017). Viele Modelle des selbstregulierten Lernens heben dabei die Selbstüberwachung und -einschätzung als zentrales Element hervor (vgl. z. B. Panadero, 2017). Nur wenn Lernende ihr Verständnis überwachen und akkurat einschätzen, können sie geeigneten Lernaktivitäten nachgehen (z. B. einen Text erneut lesen) und dadurch ihren Lernerfolg steigern (z. B. Thiede, Anderson & Therriault, 2003). Die Forschung zeigt allerdings, dass Lernende in der Regel Schwierigkeiten haben, ihr Lernen akkurat einzuschätzen und zu Selbstüberschätzungen neigen (z. B. Maki, Shields, Wheeler & Zacchilli, 2005).

Was haben wir gemacht und herausgefunden?

Wir haben untersucht, inwiefern Refutationstexte Lehramtsstudierende dabei unterstützen, statistische Fehlvorstellungen zu beheben und den eigenen Lernerfolg akkurat einzuschätzen. Die Lehramtsstudierenden in unserer Studie bearbeiteten zunächst einen Test zu Fehlvorstellungen über Kovarianz, mit dem wir das Ausmaß an Fehlvorstellungen ermitteln konnten. Beispielsweise zählte dazu die oben beschriebene Fehlvorstellung, dass Kovarianz Kausalität nachweist. Die zugehörige Testfrage war:

​Im Rahmen einer Studie haben die 150 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe eines Gymnasiums über einen Monat hinweg täglich die Anzahl an Stunden, die sie ferngesehen haben, vermerkt. Anhand der Zeugnisse wurde zudem der Durchschnitt an Leistungspunkten (0 = ungenügend bis 15 = sehr gut) einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers ermittelt. Es zeigte sich eine negative Kovarianz zwischen Fernsehkonsum und Leistungspunkten. Welche Aussage bezüglich dieses Ergebnisses ist zutreffend?

  • Wenn ein Schüler oder eine Schülerin den Fernsehkonsum reduziert, führt dies zu einer Verbesserung der schulischen Leistung. (FEHLVORSTELLUNG)
  • Der Grund für die negative Kovarianz ist, dass die Schülerinnen und Schüler selbst vermerken mussten, wie viele Stunden sie täglich ferngesehen haben. (FALSCH)
  • Es kann nicht gefolgert werden, dass ein hoher Fernsehkonsum der Grund für eine geringe schulische Leistung ist. (KORREKT)
  • Ein Monat ist keine ausreichende Zeitperiode, um zu beurteilen, wie viele Stunden die Schülerinnen und Schüler tatsächlich durchschnittlich pro Tag fernsehen. (FALSCH)

Anschließend lasen die Lehramtsstudierenden einen Lehrbuchtext zu Kovarianz. Dabei gab es zwei verschiedene Textarten. Eine Gruppe von Studierenden bekam einen Standardtext zu lesen, in dem ausschließlich die korrekten Erklärungen gegeben wurden. Eine weitere Gruppe bekam hingegen einen Refutationstext zu lesen, in dem jede Fehlvorstellung zuerst beschrieben wurde, dann explizit gesagt wurde, dass die Fehlvorstellung falsch ist, und erst dann die korrekte Erklärung gegeben wurde. Im Folgenden sind Auszüge beider Textarten für die Kausalitätsfehlvorstellung zu sehen:

Standarttext

… Kovarianz gibt an, ob zwei Variablen sich tendenziell gemeinsam ändern. Für die Frage, ob zwei Variablen auch ursächlich miteinander zusammenhängen, liefert sie keinen statistischen Beweis. …

Refutationstext

… Häufig sind Lernende der Ansicht, dass Kovarianz zwischen zwei Variablen anzeigt, dass die eine Variable die andere Variable ursächlich beeinflusst. Diese Ansicht widerspricht jedoch der statistisch korrekten Interpretation. Kovarianz gibt lediglich an, ob zwei Variablen sich tendenziell gemeinsam ändern. Für die Frage, ob zwei Variablen auch ursächlich miteinander zusammenhängen, liefert sie keinen statistischen Beweis. …

Danach lasen alle Lehramtsstudierenden einen anwendungsorientierten Text, in dem Ergebnisse bezüglich Kovarianz aus der Bildungsforschung präsentiert wurden. Dieser Text war an einen PISA-Bericht (Organisation for Economic Co-operation and Development, 2006) angelehnt. Inhaltlich ging es um die naturwissenschaftliche Grundbildung von Schülerinnen und Schülern:

… Weiterhin wurden die Schülerinnen und Schüler in der INSA-Studie 2013 befragt, ob sie glauben, dass die Umweltprobleme in den nächsten 20 Jahren besser oder schlimmer werden. In allen OECD-Ländern erklärte nur eine Minderheit, an eine Verbesserung der Umweltprobleme zu glauben. In allen OECD-Ländern ergab sich außerdem eine negative Kovarianz zwischen dem Optimismus in Bezug auf Umweltprobleme und der Leistung in Naturwissenschaften. …

Nach dem Lesen jedes Texts haben die Lehramtsstudierenden ihr eigenes Verständnis eingeschätzt und anschließend Verständnisfragen bearbeitet.

Unsere Studie hat hervorgebracht, dass statistische Fehlvorstellungen unter den Lehramtsstudierenden weit verbreitet waren. Zum Beispiel besaßen 35 % der Lehramtsstudierenden die Kausalitätsfehlvorstellung und 60 % die Fehlvorstellung, dass Kovarianz jegliche Art von Zusammenhang anzeigt (nicht nur lineare, sondern z. B. auch u-förmige Zusammenhänge).

Außerdem zeigte unsere Studie, dass die Menge an Fehlvorstellungen ein entscheidender Faktor war. Lehramtsstudierende mit vielen Fehlvorstellungen verstanden nämlich den Standard-Lehrbuchtext schlechter und überschätzten gleichzeitig ihr Verständnis stärker als Lehramtsstudierende mit wenigen Fehlvorstellungen. Folglich unterstützte der Standardtext die Lehramtsstudierenden mit falschen Annahmen zum Thema nicht dabei, ein korrektes Verständnis zu erwerben und dieses akkurat einzuschätzen. Bei Lehramtsstudierenden, die den Refutationstext gelesen hatten, wirkten sich Fehlvorstellungen dementgegen nicht nachteilig auf ihr Verständnis oder ihre Selbsteinschätzung aus. Lehramtsstudierende mit vielen Fehlvorstellungen und Lehramtsstudierende mit wenigen Fehlvorstellungen erwarben ein gleich gutes Verständnis und schätzten dieses auch gleichermaßen akkurat ein, wenn sie mit dem Refutationstext gelernt hatten. Somit sind Refutationstexte im Bereich der Statistik geeignet, das Verständnis von angehenden Lehrkräften und deren Selbsteinschätzung über ihr Verständnis zu fördern.

Unsere Studie zeigte aber noch mehr: Wenn es darum ging, das Wissen aus dem Statistiktext anzuwenden, um einen weiteren Text mit statistischen Ergebnissen aus der Bildungsforschung zu verstehen, wirkte sich eine große Anzahl an Fehlvorstellungen, die durch den Standardtext nicht beseitigt wurde, schädlich auf das Verständnis und die Selbsteinschätzung des Verständnisses im Hinblick auf diesen zweiten Text aus. Wenn sie jedoch den Refutationstext gelesen hatten, zeigten Lehramtsstudierende, die viele Fehlvorstellungen hatten, gegenüber Lehramtsstudierenden, die wenige Fehlvorstellungen hatten, keinen Nachteil im erreichten Verständnis und in ihrer Selbsteinschätzung. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass das Lesen eines Refutationstexts das Verständnis von angehenden Lehrkräften nachhaltig verbessern und sie dabei unterstützen kann, das erworbene Verständnis anzuwenden, um Ergebnisse aus der Bildungsforschung zu verstehen.

Was heißt das für die Praxis?

Unsere Befunde machen klar, dass angehende Lehrkräfte beim Erwerb eines grundlegenden Statistikwissens unterstützt werden sollten. Wenn Lehramtsstudierende fehlerhaftes Wissen in Form von Fehlvorstellungen haben, kann dies ihr weiteres Lernen und ihr Verständnis bildungswissenschaftlicher Forschungsergebnisse beeinträchtigen. Deshalb sollten Fehlvorstellungen, die häufig auftreten, unbedingt adressiert werden. Unsere Studie zeigt, dass dazu Refutationstexte gut geeignet sind. Diese Texte unterstützen Lehramtsstudierende dabei, eine gute Wissensbasis aufzubauen und so Ergebnisse aus der Bildungsforschung zu verstehen. Entsprechend den Theorien zu Conceptual Change kann angenommen werden, dass Statistiktexte in Form von Refutationstexten kognitive Konflikte auslösen, die im weiteren Lernprozess zugunsten der korrekten Erklärungen gelöst werden (z. B. Kendeou & van den Broek, 2007; Posner et al., 1982). Auch bezüglich der Selbsteinschätzung zeigen Refutationstexte eine positive Wirkung. Sie unterstützen Lehramtsstudierende dabei, ihr Verständnis statistischer Konzepte zu überwachen und genau einzuschätzen, was eine wichtige Voraussetzung für effektives selbstreguliertes Lernen ist (vgl. z. B. Panadero, 2017).

Generell zeigt unsere Forschung, dass zukünftige Lehrkräfte mit dem Verstehen von Forschungsergebnissen nicht alleine gelassen werden sollten. Vielmehr erscheint es angebracht, Statistik und Forschungsmethoden in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften zu implementieren. Eine gute Ausbildung in diesen Bereichen bildet eine notwendige Grundlage für eine hohe Wissenschaftsorientierung. Nur wenn angehende Lehrkräfte im Studium die Gelegenheit haben, fundierte statistische Kompetenzen zu erwerben, können sie relevante Forschungsergebnisse angemessen rezipieren und diese für ihren Unterricht sowie für die Schulentwicklung nutzen. Dies entspricht und bestärkt auch Maßnahmen im Rahmen der Lehramtsreform, wie beispielsweise der Aufnahme von Statistik- und Forschungsmethoden-Kursen in die Lehramts-Curricula (z. B. Wittwer et al., 2015). Da Übung bekanntlich den Meister macht, erscheint es zudem ratsam, dass angehende Lehrkräfte während der gesamten Ausbildung die Gelegenheit erhalten, das Rezipieren von Ergebnissen aus der Bildungsforschung zu üben. Deshalb sollten auch in Kursen wie zum Beispiel zum Unterrichten oder Inkludieren kontinuierlich Forschungsberichte und Studien gelesen und erarbeitet werden.

Zugehörige Veröffentlichung

Prinz, A., Golke, S., & Wittwer, J. (2018). Refutation texts compensate for detrimental effects of misconceptions on comprehension and metacomprehension accuracy and support transfer. Journal of Educational Psychology. Advance online publication. doi:10.1037/edu0000329

​Dr. Anja Prinz

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Erziehungswissenschaft Empirische Lehr- und Lernforschung

Kontakt:
E-Mail: anja.prinz@ezw.uni-freiburg.de
Tel.: 0761 203-2457

Prof. Dr. Jörg Wittwer

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Erziehungswissenschaft Empirische Lehr- und Lernforschung

Dr. Stefanie Golke

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Erziehungswissenschaft Empirische Lehr- und Lernforschung

Literatur

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