Yogi Pant studiert im 5. Semester Wirtschaftsinformatik plus an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Hochschule Offenburg – einer der ingenieurpädagogischen Studiengänge, die zum Höheren Lehramt an beruflichen Schulen führen. Er hat sich für ein Auslandssemester in Oulu, Finnland entschieden, das über ein Erasmus-Programm organisiert wird. Hier berichtet er über das Leben auf dem Campus, seine Module und reflektiert über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum deutschen Bildungssystem.
Sophie Schucker, die den ingenieurpädagogischen Studiengang Medientechnik/Wirtschaft plus studiert, befragt ihn dazu. Im letzten Part berichtete Yogi über seine persönlichen Highlights, seine liebsten Reiseziele und was er als Student an positiven Erfahrungen gesammelt hat.
Welche Module haben dir am besten gefallen?
Extrem spannend fand ich das Modul “Doing Business in Asia”, welches von einer chinesischen Dozentin unterrichtet wurde. Ich konnte extrem viel über die verschiedenen asiatischen Länder, insbesondere China, mitnehmen. In dem Modul haben wir uns vor allem mit den Kulturen auseinandergesetzt und welchen Einfluss diese zum Beispiel auf Geschäftsbeziehungen oder Managementstile haben. Nun habe ich eine bessere Vorstellung des Einflusses des Konfuzianismus auf diese Kulturen, außerdem erscheinen mir asiatische Kulturen deutlich vertrauter als zuvor. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich das Modul sehr genossen habe und etwas traurig bin, dass es nun bereits zu Ende ist.
Ein weiteres interessantes Modul war “Strategic and Creative Competences”. Dieses Modul war sehr praxisorientiert. In einem 6-köpfigen internationalen Team sollten wir ein reales Unternehmen analysieren. Jedes Teammitglied sollte dazu ein anderes Businessbuch lesen, um die dort beinhalteten Businessstrategien auf das Unternehmen zu beziehen und dessen Marktposition zu verbessern. Ich entschied mich für das Buch “Blue Ocean Strategy” von Mauborgne und Kim. Das Modul hat mir ein Verständnis dafür gegeben, wie sich theoretische Konzepte in der realen Welt implementieren lassen. Das Buch meiner Wahl war sehr interessant und hat mir eine neue Perspektive auf die Wirtschaft als Ganzes gezeigt.
Was sind die größten Unterschiede zum deutschen Bildungssystem? Wie ist der Umgang mit den Professor*innen und Kommiliton*innen vor Ort?
Nach meinen Erfahrungen ist das Bildungssystem hier vollkommen anders als das in Deutschland. Beispielsweise ist die Beziehung zu den Dozierenden enger und vertrauter. Dozierende werden lediglich mit ihrem Vornamen angesprochen, das gleiche gilt für Studierende. Außerdem ist es üblich, dass Dozierende ihren Werdegang offenlegen und sich in den Vorlesungen häufig darauf beziehen. Zum Beispiel hat einer unserer Dozenten im Vorfeld für das finnische Unternehmen Nokia gearbeitet. Im Modul “Strategic and Creative Competences” konnte er daher immer Bezug auf die Entwicklung des ersten Smartphones nehmen und uns erzählen, wie das Nokia-Team damals vorgegangen ist. Diese Faktoren reduzieren die Förmlichkeit und schaffen eher eine Mentoren-Mentee-Atmosphäre, als die einer klassischen Vorlesung.
Wie ist die Modulbelegung und wie groß ist der Aufwand je Modul?
Die Struktur der Module unterscheidet sich ebenfalls stark von denjenigen in Deutschland. So wird das Semester in Finnland in zwei Perioden unterteilt, in welchen unterschiedliche Module absolviert werden können. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass der zeitliche Aufwand pro Modul deutlich höher ist als in Deutschland. Es gibt pro Modul wöchentliche Assignments. Diese können stets unterschiedlich sein. Es kann vorkommen, dass wöchentlich Präsentationen gehalten, Interviews von Unternehmen oder deren Kunden durchgeführt, Aufsätze oder Business-Pläne geschrieben werden oder eine mehrseitige Selbst-Reflexion über die Inhalte der Vorlesung abzugeben sind. Man ist dauerhaft mit neuen Aufgaben beschäftigt und bewegt sich permanent außerhalb seiner eigenen Komfortzone. Dies war vor allem am Anfang für meine deutschen Kommilitonen und Kommilitoninnen und mich eine Herausforderung. Das Spannende hierbei ist allerdings, dass wir uns bereits nach einigen Wochen an die veränderten Abläufe gewöhnen konnten.
Gibt es zusätzlich zu den wöchentlichen Assignments Prüfungen am Periodenende?
Das kommt ganz auf die dozierende Person und das Modul an. Modulnoten werden manchmal aus den wöchentlich abzugebenden Assignments gebildet. In einigen Fällen beinhaltet das Modul eine finale Präsentation am Ende der Periode oder eine schriftliche Ausarbeitung in Form eines Reports. Im Modul “Business in Asia” haben wir einen zwanzigseitigen Report darüber geschrieben, wie es Volkswagen als ausländischem Unternehmen gelang, auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Darüber hinaus präsentierten wir unsere Ergebnisse in Form einer zwanzigminütigen Präsentation vor unserem Studiengang. Auch Prüfungen stellen eine mögliche Form des Leistungsnachweises dar. Unser Modul “International Sales Competences” ist in drei Themenbereiche unterteilt. Hier steht in jedem der drei Fächer eine schriftliche Prüfung am Ende der Periode an. Die endgültige Modulnote wird schließlich aus dem Durchschnitt der drei Noten gebildet.
Wie wird in Finnland bewertet?
Ein weiterer Unterschied ist die Notenskala. Anders als in Deutschland geht die Notenskala hier von 0 bis 5. Eine 0 steht für ein Nichtbestehen des Moduls, eine 5 für die Bestnote, allerdings gibt es keine Zwischennoten. In Finnland ist es aber auch möglich, dass man sich als Student oder Studentin selbst bewertet. Im Modul “Towards Entrepreneurship and Innovation” in der letzten Periode musste ich das tun. Zwei Wochen vor Periodenende erhielt ich eine Notenskala mit der Angabe, welche Leistungen für die jeweilige Note notwendig ist. Ich musste im Anschluss einen ausführlichen Aufsatz schreiben, warum ich der Meinung war, dass die Note, die ich mir selbst gegeben habe, gerechtfertigt sei und inwieweit ich die erforderlichen Leistungen erbracht hatte.
Fiel es dir schwer dich selbst zu bewerten und meinst du, es wäre sinnvoll, solch ein System in Deutschland zu implementieren?
Schon zu Beginn der Periode wurde uns Studierenden mitgeteilt, welche Leistungen einer gewissen Note entsprechen. Daher habe ich mich bereits während der Periode an diesen Vorgaben orientiert, um meine Wunschnote zu erhalten. Die Argumentation meiner Selbstbewertung ist mir deswegen nicht allzu schwergefallen.
Ein solches Bewertungssystem fände ich auch in Deutschland in einigen Fällen sinnvoll. Der Einsatz unterschiedlicher Bewertungssysteme bringt eine gewisse Dynamik in den Studienalltag und fördert bestimmt auch die Selbsteinschätzungskompetenzen der Studierenden.
Entspricht dein Auslandssemester deinen Vorstellungen?
Tatsächlich hatte ich mir das Auslandssemester etwas anders vorgestellt. Ich bin davon ausgegangen, einen eher finnischen Alltag zu erleben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Mit der finnischen Kultur komme ich nur am Rande in Kontakt. Ich bin nicht davon ausgegangen, mich dauerhaft in einem internationalen Umfeld zu bewegen, in dem ich Freundschaften mit so vielen positiv prägenden Menschen schließen kann.
Auch mit dem Ablauf des Studiums habe ich nicht in dieser Art und Weise gerechnet. Ich hatte mich bereits im Vorfeld informiert und wusste, dass das Studium hier praxisbezogener sein würde. Aber dass ich tatsächlich ständig „unter Strom“ stehen würde, war mir nicht bewusst.
Ich bin aber super zufrieden mit dem bisherigen Verlauf meines Auslandssemesters. Ich denke daher, dass es extrem wichtig ist, mit einem offenen Geist ins Auslandssemester zu starten, sich auf Neues einzulassen und sich im Vorfeld nicht zu statische Vorstellungen über den genauen Ablauf zu machen.
Hättest du im Nachhinein doch gerne einen Finnisch-Kurs gemacht?
Es wäre definitiv von Vorteil gewesen, einen Finnisch-Kurs gemacht zu haben. Jedoch sehe ich bei meinen Kommilitonen und Kommilitoninnen, wie zeitintensiv diese sind. Finnisch ist nun mal keine indoeuropäische Sprache wie zum Beispiel Englisch oder Spanisch. Die Wortstämme unterscheiden sich stark von denen im Deutschen, wodurch ein Erlernen der Sprache im Vergleich sehr schwer ist. Wenn ich einen Finnisch-Kurs gemacht hätte, hätte ich insgesamt weniger Module belegen können. Und da mich die anderen Module sehr interessieren und so gut gefallen, bereue ich es nicht, den Finnisch-Kurs nicht belegt zu haben.
Würdest du dich wieder für ein Auslandssemester in Oulu entscheiden?
Hundertprozentig! Der Campus hier ist einfach umwerfend. Es gibt alles, was man sich wünschen kann und wie bereits erwähnt, gefallen mir die Vorlesungen sehr. Außerdem arbeitet Nokia ebenfalls auf dem Campus und beschäftigt Leute aus der ganzen Welt, welche gerade an der Entwicklung eines zukünftigen 6G-Netzwerks arbeiten. Durch diese Faktoren herrscht eine enorm spannende und dynamische Atmosphäre. Nicht ohne Grund wird Oulu als das Silicon Valley Nordeuropas bezeichnet! Jedoch muss man auch erwähnen, dass das Umland von Oulu verhältnismäßig lückenhaft besiedelt ist. Das Leben in Finnland spielt sich im Grunde im Süden in den Großstädten Helsinki, Tampere und Turku ab. Oulu ist wie eine kleine Insel in der Mitte Finnlands.
Was ist dein größtes Learning?
Auf jeden Fall das Zusammenkommen der vielen Menschen mit einem internationalen Background inklusive der jeweiligen Herausforderungen und wie diese gemeistert werden. Ich konnte beobachten, wie sich vor allem auch im Wohnheim Menschen, die aus verschiedenen Ländern kommen, hervorragend verstehen und austauschen.
Hand aufs Herz – Kannst du Finnland trotz Winterblues empfehlen?
Definitiv! Finnland ist auch mit Winterblues immer einen Besuch wert. Wenn man so will, gerade mit Winterblues! Denn hierdurch besteht die Chance, das Land im Schnee zu sehen, die Polarlichter zu bestaunen und die Einmaligkeit Finnlands erst so richtig wahrzunehmen.
Throwback:
- Im letzten Part berichtete Yogi über seine persönlichen Highlights, seine liebsten Reiseziele und was er als Student an positiven Erfahrungen gesammelt hat.
- Auch vor dem Start des Auslandstudiums haben Sophie und Yogi bereits ein Interview miteinander geführt.
Information zu den Kooperationsstudiengängen der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Hochschule Offenburg, die zum beruflichen Lehramt führen:
Fotos: Yogi Pant
Grafiken: Sophie Schucker
Yogi Pant
5. Fachsemester, Wirtschaftsinformatik plus (Hochschule Offenburg/Pädagogische Hochschule Freiburg)
Sophie Schucker
5. Fachsemester, Medientechnik/Wirtschaft plus (Hochschule Offenburg/Pädagogische Hochschule Freiburg)
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