Inklusion im Musikunterricht fördern durch bewusste und unbewusste Lerngelegenheiten

Im Rahmen der „Kooperativen Musiklehrer*innenbildung Freiburg” KoMuF wird das Lehramtsstudium im Fach Musik neu ausgerichtet. Im Teilprojekt 3 zum Querschnittsthema Inklusion werden explizite und implizite Lerngelegenheiten zum Thema Inklusion im Musikunterricht geschaffen, um Studierende für Prozesse des Ein- und Ausschlusses beim Musiklernen zu sensibilisieren und dazu zu befähigen, Musikunterricht heterogenitätssensibel zu gestalten. Angestrebt wird die strukturelle Verankerung des Themengebiets in Lehre und Forschung, u.a. durch Schaffung eines Quercurriculums für alle Musikstudierenden.

Ausgehend von der UN-Behindertenrechtskonvention (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, 2018) hat sich Deutschland dazu verpflichtet, den gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zur allgemeinen Hochschulbildung für Menschen mit Behinderungen sicherzustellen ein inklusives Bildungssystem „auf allen Ebenen“ zu etablieren (Art. 8 und 24), was sich unter anderem im Aktionsplan des Landes Baden-Württemberg niederschlägt (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg, 2015). Hierbei geht es beispielsweise um heterogenitätssensible Lehr- und Prüfungsformate und um das Lernklima in Seminaren und Vorlesungen. Insbesondere im Bereich Musik stellt sich auch die Frage nach Zugangsvoraussetzungen und nach der Gestaltung von Eignungsprüfungen.

Im Kontext des Projektes „Inklusion im Musikunterricht“ wird „Inklusion“ als Frage nach gesellschaftlichen Prozessen von Ein- und Ausschluss verstanden. Mit Bezug auf den Index für Inklusion (Booth & Ainscow, 2017) geht es in der Forschungsarbeit um musikalisches Lernen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen in Bezug auf ermöglichende und behindernde Kulturen, Strukturen und Praktiken. Im Fokus der Lehrentwicklung steht die Sensibilisierung der Musikstudierenden für die Thematik. Dabei spielen einerseits explizite Lehrinhalte und Lerngelegenheiten eine Rolle, etwa Wissen über Diskurse und didaktische Ansätze zu Inklusion in der musikalisch-kulturellen Bildung, über typische Prozesse von Differenzherstellung im Musikunterricht und Kenntnisse über diagnostische Verfahren. Andererseits sind im Sinne des Index für Inklusion auch implizit erlebte Kulturen, Strukturen und Praktiken von Bedeutung wie die Entwicklung positiver Orientierungen gegenüber Vielfalt und deren Relevanz für Lernprozesse.

Explizite Lerngelegenheiten: Entwicklung eines Quercurriculums zu Inklusion im Musikunterricht

Im Bereich der Lehrentwicklung wird das Thema Inklusion weiterentwickelt und curricular verankert. Zunächst wurde von Oktober 2016 bis zum Frühjahr 2018 jeweils ein eigenes Seminar zu „Inklusion und Kooperation im Musikunterricht“ als Teil des Wahlpflichtbereiches angeboten. Das Seminar war für Studierende des Lehramts mit Musik an Pädagogischer Hochschule und Musikhochschule ebenso geöffnet wie für Studierende der Instrumental- bzw. Gesangspädagogik, der Elementaren Musikpädagogik und weiterer Studiengänge an beiden Hochschulen. Um die dort behandelten Inhalte und Formate in Seminare des Pflichtbereichs überführen zu können, erarbeitet Charlotte Rott-Fournier gemeinsam mit Lehrenden des Instituts für Musik der Pädagogischen Hochschule ein kohärentes Quercurriculum zu „Inklusion im Musikunterricht“. Ziel ist, dass künftig über spezifisch Interessierte Studierende hinaus alle Studierenden des Fachs Musik mit Inhalten und Formaten aus dem Themenbereich „Inklusion im Musikunterricht“ in Kontakt kommen.

Bei der Entwicklung des Quercurriculums zu Inklusion im Musikunterricht geht es insbesondere um drei zentrale Anliegen:

  • Aufbauende kohärente Struktur mit wiederkehrenden Inhalten, die über das Studium hinweg sukzessive erweitert werden.
  • Sichtbarmachung und Reflexion von bewussten und unbewussten Lerngelegenheiten zu „Inklusion im Musikunterricht“ am Institut.
  • Erweiterung und personenunabhängige(re) Verstetigung von Lerngelegenheiten zu „Inklusion im Musikunterricht“ über das Projektende im Sommer 2021 hinaus.

Auf Grundlage des Curriculums sollen die Musikstudierenden im Laufe ihres Studiums für Prozesse von Ein- und Ausschluss beim Musiklernen sensibilisiert und dazu befähigt werden, Musikunterricht heterogenitätssensibel zu gestalten und damit musikalisches Lernen für alle Kinder zu ermöglichen.

Implizite Lerngelegenheiten: Inklusion (er)leben

Ein Beispiel für implizite Lerngelegenheiten ist die Band TonRaum, die aus einer Kooperation der PH Freiburg mit dem „Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche“ (ABC) in Trägerschaft der Diakonie Freiburg entstanden ist. Hier schreiben Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und musikalischen Vorkenntnissen gemeinsam Songs zu Themen, die sie beschäftigen und bringen diese bei Konzerten inner- und außerhalb der Pädagogischen Hochschule zu Gehör. Hier wird „Inklusion“ nicht explizit thematisiert, jedoch umso intensiver er- und gelebt. Beobachtete Prozesse von Ein- und Ausschluss sind für das Leitungsteam stetig Anlass für Reflexion und Weiterentwicklung des Konzepts und der Strukturen der Band.

Begleitforschung und Ausblick

Neben der Lehre und Lehrentwicklung findet an den drei Hochschulen der School of Education auf verschiedenen Ebenen Forschung zum Themengebiet statt. An der pädagogischen Hochschule wurden bereits durch die beiden Juniorprofessuren ‚Inklusion und Heterogenität‘ Lehrkonzepte erarbeitetet, die im Rahmen des KoMuF-Projekts durch Forschung zu inklusionsbezogene Inhalten im Fach Musik ergänzt werden.

In ihrem laufenden Forschungsprojekt untersucht Projektmitarbeiterin Charlotte Rott-Fournier mit Hilfe von Gruppendiskussionen und einer Fragebogenerhebung Prozesse von Ein- und Ausschluss in der hochschulischen Bildung angehender Musikpädagog*innen an Musikhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Zur Einordnung dient die soziologische Theorie sozialer Ungleichheiten nach Pierre Bourdieu.

Im weiteren Entwicklungsprozess stellt sich insbesondere die Frage nach der Verstetigung und strukturellen Verankerung des Themengebiets „Inklusion im Musikunterricht“ in Forschung und Lehre, beispielsweise in Prüfungsformaten. Außerdem gilt es, ähnliche Prozesse an der Hochschule für Musik anzustoßen, mit dem Ziel, Inklusion als gesamtgesellschaftliches Projekt und damit auch den gesamten musikalisch-kulturellen Bereich betreffend zu thematisieren.

Literaturverzeichnis

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. (2018). Die UN-Behindertenrechtskonvention. BehinderungenÜbereinkommen der Vereinten Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a729-un-konvention.pdf?__blob=publicationFile [28.01.2020].

Booth, T. & Ainscow, M. (2017). Index für Inklusion. Ein Leitfaden für Schulentwicklung (1. Auflage). Weinheim: Beltz.

Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg. (2015). Aktionsplan der Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Baden-Württemberg. https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/Aktionsplaene/aktionsplan_bawue.pdf?__blob=publicationFile&v=4 [22.01.2020].

Hintergrund

2016 haben die Hochschule für Musik, die Pädagogische Hochschule und die Albert-Ludwigs-Universität für das Förderprojekt „Kooperative Musiklehrer*innenbildung Freiburg“ (KoMuF) zwei Millionen Euro für die Dauer von 5 Jahren eingeworben, um das Lehramtsstudium im Fach Musik neu auszurichten. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg fördert den gemeinsamen Antrag der drei Freiburger Hochschulen in der Förderlinie „Leuchttürme der Lehrerbildung ausbauen“ des Programms „Lehrerbildung in Baden-Württemberg“.

Ziel der Neuausrichtung ist, den Bachelor- und Masterstudiengängen im Lehramt Musik ein neues, professionsorientiertes Profil zu geben, in dem Fachwissenschaft, künstlerisches Fach, Musikdidaktik und Bildungswissenschaft möglichst inhaltlich aufeinander aufbauen und strukturell verzahnt sind. Zudem beteiligt sich das Institut für Musikermedizin der Hochschule für Musik und des Universitätsklinikums Freiburg daran, Lehrangebote zum Umgang mit der eigenen Stimme zu entwickeln.

Das KoMuF-Projekt gliedert sich in fünf Teilprojekte. Neben der institutionellen Vernetzung werden dort die Schlüsselthemen Inklusion, Interkulturalität, Umgang mit der Stimme sowie Musizieren, Improvisieren und Musik erfinden im Unterricht bearbeitet.

Seit ihrer Beitrittserklärung vom November 2019 ist die Hochschule für Musik Freiburg offiziell Teil der School of Education FACE. Im Oktober 2018 zunächst von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Pädagogischen Hochschule Freiburg gegründet, bündelt die School of Education die Kompetenzen der beteiligten Hochschulen im Bereich der Lehramtsausbildung in einer wissenschaftlichen Institution und ist damit der zentrale Akteur der Lehrer*innenbildung am Standort Freiburg.

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