Es ist Teil des Berufsalltags von Lehrenden an beruflichen Schulen, mit heterogenen Klassen und Schüler*innen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, teilweise auch mit Sprachbarrieren umzugehen. Deshalb erfolgt eine Verankerung von Heterogenität und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache in den Curricula des beruflichen Lehramts. Die Projektmitarbeiter*innen geben einen ersten Einblick in die Konzeptentwicklung aus den Bereichen Inklusion/Heterogenität und DaF/DaZ zur Ausbildung und Professionalisierung von Lehrkräften für das Berufliche Lehramt.
Das Vorhaben
Das Teilprojekt aus der Strukturentwicklung und Rekrutierung im Höheren Lehramt an beruflichen Schulen hat das Ziel, die beiden Themenfelder
- Inklusion/Heterogenität und
- Deutsch als Zweitsprache (DaZ)
in den Curricula und der Ausbildung von Lehrer*innen für das berufliche Lehramt zu etablieren. Zur Verankerung der oben genannten Bereiche in allen Phasen der Lehrer*innenbildung werden zunächst zwei Lehrveranstaltungen für die gewerblich-technischen Studiengänge (Schwerpunkt: Metall- und Elektrotechnik) konzipiert. Diese sollen als Grundlage für die fachdidaktische Konkretisierung in anderen Teilprojekten dienen und machen die entsprechenden Prinzipien der beiden Querschnittsthemen Inklusion/Heterogenität und Deutsch als Zweitsprache deutlich. In Kooperation von Ingenieurwissenschaften, Fachdidaktiken und Berufspädagogik und unter Berücksichtigung schulischer Praxis werden gemeinsam beispielhafte Zugänge zu den Themen Inklusion und Heterogenität und Deutsch als Zweitsprache in der Lehrer*innenbildung im technisch-gewerblichen Bereich erarbeitet und in die weitere Lehrentwicklung aufgenommen bzw. übertragen. Dabei sollen die genannten Querschnittsthemen zunächst eingeführt und als roter Faden in das Curriculum integriert und danach umgesetzt werden.
Anschließend werden die entwickelten Lehrkonzepte mit dem Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Freiburg (Berufliche Schulen) abgestimmt und für Lehrkräftefortbildungen aufbereitet. Nach Abschluss der Entwicklungsphase werden die Lehrveranstaltungen innerhalb eines Pilotstudiengangs in einem anderen Teilprojekt implementiert und begleitend evaluiert. Im Anschluss sollen sie nachhaltig in allen gewerblich-technischen Studiengängen verankert werden.
Die School of Education FACE kann bereits auf Erfahrungen und Ergebnisse aus der Lehrer*innenbildung für die Primar- und Sekundarstufe I sowie auf etablierte Unterstützungsstrukturen für die Studierenden zu den Themen Inklusion/Heterogenität (s. Publikationen Junior-Professuren Köpfer und Scharenberg[1]) und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache zurückgreifen. Im Bereich DaZ/ DaF wird beispielsweise an die Forschung des laufenden Promotionskollegs (Teilprojekte zum sprachsensiblen Fachunterricht und zu Professionalisierungsmaßnahmen im Bereich der sprachlichen Bildung) angeknüpft. Auch in einem Teilprojekt im Rahmen der zweiten Förderphase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (Inklusion und Umgang mit Heterogenität in den Fächern) wurden kasuistische Lehrkonzepte zu Inklusion und DaZ in den Fächern erarbeitet, woran angeschlossen werden kann.
Integration von Inklusion/Heterogenität und DaZ in die Curricula des Höheren Lehramts an beruflichen Schulen
Seit in Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2009 in Kraft getreten ist, gilt eine Rechtslage, die Inklusion auf allen Ebenen des Bildungssystems sowie Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit und ohne Behinderungen einfordert. Die Leitidee inklusiver Bildung bzw. Bildung für alle (DUK 2014) fordert universelle Zugangsmöglichkeiten aller Menschen zu qualitativ hochwertiger Bildung und angemessenen Unterricht aller Lernenden im Allgemeinen Bildungssystem (einschließlich beruflicher Schulen). In Anlehnung daran wird einem weiten Inklusionsbegriff gefolgt, wonach die individuelle Förderung aller Lernenden im Mittelpunkt steht (vgl. Zoyke 2016, S. 207; EADSNE 2012). Diese hat zunehmend in inklusiven Klassen zu erfolgen und gewinnt auch für angehende Lehrer*innen im Studium für berufliche Schulen an Bedeutung.
So zeigt eine Langzeitstudie aus der Schweiz , dass die Separation von ‚schulschwachen‘ und sozial benachteiligten Kindern in Sonderschulen für Lernbehinderte deren Chancen zur beruflichen und sozialen Integration im Erwachsenenalter verschlechtert (vgl. Eckhart et al. 2011).
Für eine sukzessive Veränderung der derzeitigen Bildungsstrukturen in der Lehrer*innenbildung in den verschiedenen Bundesländern Deutschlands soll Inklusion weniger als ein zusätzlich zu berücksichtigendes Element gesehen werden, sondern als innovativer Grundgedanke, der sich auf alle Studieninhalte auswirkt (vgl. Rischke 2015, S. 9, 11).
Die Heterogenität der Schülerschaft an beruflichen Schulen besteht nicht nur in Alter, Geschlecht, sozialer und kultureller Herkunft, sondern auch hinsichtlich des Bildungshintergrunds, der Deutschkenntnisse und der Arbeitstechniken (vgl. Roche und Terrasi-Haufe 2019, S. 167). Bei vielen Berufsschüler*innen werden zunehmend sprachliche Schwierigkeiten durch fehlende bildungssprachliche Kompetenzen (z. B. im Umgang mit Schriftlichkeit, etwa beim Lesen und Verstehen von Fachtexten) beobachtet. Hinzu kommen berufsschulpflichtige Asylbewerber*innen und Geflüchtete ohne bzw. mit geringen Deutschkenntnissen. Die Sprachkompetenz ist demnach bei Lernenden mit Deutsch als Erstsprache und Zweitsprachlernenden ungleich verteilt, wodurch die sprachliche Bildung Aufgabe in allen beruflichen Bildungsgängen wird (vgl. Roche und Terrasi-Haufe 2019, S. 168) und entsprechende Kompetenzen im Lehramtsstudium (vgl. Ehmke et al. 2018) auch für die berufliche Bildung nötig werden.
Lehrentwicklung Inklusion/Heterogenität und Deutsch als Zweitsprache
a) Fokuspunkte für die Lehrentwicklung Inklusion/Heterogenität
In den zu entwickelnden Lehrveranstaltungen stehen Professionsorientierung und die Förderung inklusionsbezogener Lehrkompetenz sowie Unterrichtsentwicklung und pädagogische Diagnostik im Mittelpunkt. Weiter sind die Beschäftigung und Reflexion mit eigenen Überzeugungen und Werten sowie die Kooperation in multiprofessionellen Teams und Initiierung weiterer Unterstützungsangebote innerhalb und außerhalb der Schule zentrale Lehrinhalte für die Ausbildung von Lehrer*innen, die an beruflichen Schulen tätig werden. Beispielsweise sind Lehrer*innen an beruflichen Schulen in der Kooperation mit Jugendsozialarbeiter*innen oder in der Mitwirkung gemeinsamer Förder- und Hilfeplanvereinbarungen gefordert.
b) Fokuspunkte für die Lehrentwicklung Deutsch als Zweitsprache
Die Studierenden benötigen Kompetenzen zur Berücksichtigung spezifischer Lernvoraussetzungen von Schüler*innen nicht-deutscher Herkunftssprache und zugleich zur Förderung der Sprachkompetenz aller Schüler*innen, um eine erfolgreiche Bildungsbeteiligung zu ermöglichen (vgl. Kniffka und Neuer 2017). Die Diagnose von sprachlich-kommunikativen Anforderungen in Schule und Betrieb bildet einen Kompetenzbereich. Beispielsweise werden die Varietäten des Deutschen in Schule und Betrieb (Alltags-, Bildungs-, Berufs- und Fachsprache) in ihrer Funktion und sprachlichen Struktur in den Blick genommen. An Fallbeispielen aus beruflichen Bildungsgängen soll der Sprachstand von Schüler*innen eingeschätzt und untersucht werden, ob Lernprobleme fachlich, sprachlich oder durch unterschiedliche kulturbezogene Kenntnisse bedingt sind. Die sprachsensible Unterrichtsplanung und Unterrichtsinteraktion stellen einen weiteren Kompetenzbereich dar. Durch Konzepte, Ansätze und Prinzipien sprachlicher Bildung im Fachunterricht (z.B. Scaffolding, Szenariodidaktik, Umgang mit Fachtexten, Translanguaging) sollen fachliche und sprachliche Inhalte für Lernsituationen aus Metall- und Elektrotechnik bestimmt werden, um diese integriert vermitteln zu können (vgl. Kniffka 2019) und die Berufsschüler*innen durch die sprachlich-fachliche Verzahnung und die lebensweltliche Anbindung in der Sprachförderung zu motivieren (vgl. Efing 2013, S. 68). Dabei sollen auch mögliche Differenzierungsstrategien für die Unterrichtsinteraktion betrachtet werden, mit denen die Ressourcen der Schüler*innen (z.B. Mehrsprachigkeit) genutzt und ihre Chancengleichheit hergestellt werden können.
Die Lehrentwicklung bildet zudem die Grundlage für Professionelle Lerngemeinschaften (PLG) zu Inklusion/Heterogenität und sprachsensiblem Fachunterricht. In Professionellen Lerngemeinschaften (vgl. Bonsen und Rolff 2006, S. 179), z.B. bestehend aus Lehrer*innen einer beruflichen Schule, Sozialarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen der Pädagogischen Hochschule, ergeben sich Gemeinschaftswerte wie Hilfekultur und Fehlertoleranz und folgende Kriterien:
- Reflektierender Dialog
- De-Privatisierung der Unterrichtspraxis
- Fokus auf Lernen statt auf Lehren
- Zusammenarbeit
- Gemeinsame handlungsleitende Ziele
Die in den PLGs erarbeiteten (Unterrichts-)Beispiele für die beteiligten Schulen, die sukzessiv und gemeinschaftlich erarbeitet, erprobt und weiterentwickelt werden, bilden eine weitere Basis für die Lehrer*innenaus- und -weiterbildung für berufliche Schulen. Diese Schritte sollen zur Attraktivitätssteigerung, zum Kompetenzaufbau und zur Professionalisierung des beruflichen Lehramts im technisch-gewerblichen Bereich in der Region Freiburg – Offenburg beitragen.
Weitere Informationen
Am 01.03.2020 ist die dritte Phase der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit dem Schwerpunkt „Berufliches Lehramt“ gestartet. Mithilfe der Förderung, welche die School of Education FACE einwerben konnte, werden am Standort Freiburg in den nächsten Jahren die beruflichen Lehramtsstudiengänge in den gewerblich-technischen Fachrichtungen der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Hochschule Offenburg weiterentwickelt. Durch gezielte Maßnahmen sollen Studierende unterstützt und weitere Studierende für die Fachrichtungen begeistert werden.
Weitere Beiträge zum Thema
Literaturverzeichnis
Bonsen, Martin; Rolff, Hans-Günter (2006): Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern. In: Zeitschrift für Pädagogik 52 (2), S. 167–184.
DUK (Hg.) (2014): Inklusion. Leitlinien für die Bildungspolitik. Deutsche UNESCO-Kommission e.V. Online verfügbar unter https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-05/2014_Leitlinien_inklusive_Bildung.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
EADSNE (Hg.) (2012): Inklusionsorientierte Lehrerbildung. Ein Profil für Inklusive Lehrerinnen und Lehrer. European Agency for Development in Special Needs Education. Online verfügbar unter https://www.european-agency.org/sites/default/files/te4i-profile-of-inclusive-teachers_Profile-of-Inclusive-Teachers-DE.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Eckhart, Michael; Haeberlin, Urs; Sahli Lozano, Caroline; Blanc, Philippe (2011): Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale und berufliche Situation im jungen Erwachsenenalter. 1. Aufl. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt (Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik).
Efing, Christian (2013): Sprachförderung in der Sekundarstufe II. In: Bildungsdirektion des Kantons Zürich, S. 75–81. Online verfügbar unter https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/user_upload/Expertise_Sprachfoerderung_Web_final_03.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Ehmke, Timo; Hammer, Svenja; Köker, Anne; Ohm, Udo; Koch-Priewe, Barbara (Hg.) (2018): Professionelle Kompetenzen angehender Lehrkräfte im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Waxmann Verlag. 1. Auflage. Münster: Waxmann Verlag GmbH.
Kniffka, Gabriele (2019): Scaffolding. LMU; Sprache im Fach; Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt. Online verfügbar unter https://epub.ub.uni-muenchen.de/61965/1/Kniffka_Scaffolding.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Kniffka, Gabriele; Neuer, Birgit (2017): Sprachliche Anforderungen in der Schule. In: Hartmut Günther, Gabriele Kniffka, Gabriele Knoop und Thomas Riecke-Baulecke (Hg.): Basiswissen Lehrerbildung: DaZ unterrichten. Unter Mitarbeit von Maike Abshagen. 1. Auflage. Seelze: Klett/Kallmeyer, S. 37–49.
Köpfer, Andreas; Papke, Katharina; Heinemann, Lars; Bittlingmayer, Uwe H. (2019): Inklusion in der beruflichen Bildung – Pädagogische Fachlichkeit in der Praxis von Berufsschullehrpersonen. In: QfI – Qualifizierung für Inklusion.
Köpfer, Andreas / Scharenberg, Katja: Praxisorientierte Professionalisierungsprozesse im Kontext inklusiver Lehrerbildung – Erkenntnisse aus der Evaluation eines Lehr-Forschungsprojekts zum Forschenden Lernen. In: BMBF (Hg.): Verzahnung von Theorie und Praxis im Lehramtsstudium. Erkenntnisse aus Projekten der “Qualitätsoffensive Lehrerbildung”, S. 150–156. Online verfügbar unter https://ql.bmbfcluster.de/files/BMBF-Verzahnung_von_Theorie_und_Praxis_im_Lehramtsstudium_barrierefrei.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Köpfer, Andreas, Scharenberg, Katja, Leuders, Juliane & Schneider, Katja (2017): Inklusion in der Lehrer/-innenbildung: Ein Querschnittsthema im Studienverlauf. PH FR. Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Online verfügbar unter https://www.ph-freiburg.de/fileadmin/shares/Zentral/Pubs/PH-FR/ph-fr_17.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Köpfer, Andreas, Scharenberg, Katja, Leuders, Juliane, Rott-Fournier, & Schneider, Katja (2018): Freiburger Inklusive Schulbegleitforschung Studierende, Hochschule und Schulen entwickeln und bearbeiten gemeinsam Forschungsfragen im Kontext von Inklusion. PH FR. Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Online verfügbar unter https://www.ph-freiburg.de/fileadmin/shares/Zentral/Pubs/PH-FR/ph-fr_18.pdf, zuletzt geprüft am 26.10.2020.
Rischke, Melanie (2015): Inklusionsorientierte Lehrerbildung – vom Schlagwort zur Realität?! Bertelsmann-Stiftung. Gütersloh. Online verfügbar unter http://www.monitor-lehrerbildung.de/web/.content/Downloads/Monitor_Lehrerbildung_Inklusion_04_2015.pdf.
Roche, Jörg; Terrasi-Haufe, Elisabetta (2019): Sprachkompetenzen fördern an beruflichen Schulen – Unterrichtsgestaltung im Spannungsfeld der Förderung sprachlicher Basiskompetenzen und Berufssprache. In: Karin Heinrichs und Hannes Reinke (Hg.): Heterogenität in der beruflichen Bildung. Im Spannungsfeld von Erziehung, Förderung und Fachausbildung. [1. Auflage]. Bielefeld: wbv (Wirtschaft – Beruf – Ethik, 36), S. 167–179.
Zoyke, Andrea (2016): Inklusive Berufsbildung in der Lehrerbildung für berufliche Schulen. Impressionen und Denkanstöße zur inhaltlichen und strukturellen Verankerung. In: Andrea Zoyke und Kirsten Vollmer (Hg.): Inklusion in der Berufsbildung: Befunde – Konzepte – Diskussionen. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Berichte zur beruflichen Bildung, 18), S. 207–2037.
[1] Köpfer et al. 2019
Köpfer, Andreas / Scharenberg, Katja 2019
Köpfer, Andreas, Scharenberg, Katja, Leuders, Juliane, Rott-Fournier, & Schneider, Katja 2018
Köpfer, Andreas, Scharenberg, Katja, Leuders, Juliane & Schneider, Katja 2017