„Nein – nicht daran, dass sie so jung sind, dass sie aus Sicht der alten Lehrerinnen und Lehrer immer auch als ihnen unbekannte Oberstufenschüler durchgehen könnten. Sondern daran, dass sie versuchen unsichtbar zu sein, denn irgendwie sind sie eigentlich (noch) gar nicht da …“
Eine Ausbildungslehrerin an einem Gymnasium in Freiburg schildert ihre Erfahrungen im Umgang mit Studierenden, die im Orientierungspraktikum an ihrer Schule sind und gibt Tipps mit auf den Weg, die helfen, die Schülerperspektive abzulegen.
Woran erkennt man Praktikantinnen und Praktikanten im Lehrerzimmer?
Nein – nicht daran, dass sie so jung sind, dass sie aus Sicht der alten Lehrerinnen und Lehrer immer auch als ihnen unbekannte Oberstufenschüler durchgehen könnten. Sondern daran, dass sie versuchen unsichtbar zu sein, denn irgendwie sind sie eigentlich (noch) gar nicht da – auch wenn ihre körperliche Hülle leider das glatte Gegenteil behauptet. In der Regel findet man Praktikanten in eine Ecke gedrängt, möglichst weit weg vom eigentlichen Geschehen in der Pause – und das spielt sich meist rund um die Kaffee-Ecke ab. Wenn Praktikanten Glück haben, gibt es ein paar von ihrer Sorte – dann können sie sich zusammen in der entgegenliegenden Ecke verstecken. Dabei fallen sie im Übrigen umso mehr auf.
Das Lehrerzimmer ist gemeinhin der Ort in der Schule, an dem Schülerinnen und Schüler nichts zu suchen haben. Selbst die Schulen mit dem partnerschaftlichsten Erziehungsverständnis, mit den lockersten Lehrern und der chilligsten Schulleitung lassen außer Lehrern niemanden ins Lehrerzimmer. Das ist keine verschwörerische Schrulligkeit der Schulen um die in der Regel unaufgeräumten Lehrerzimmer verschämt vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen, sondern ergibt sich aus den dienstrechtlichen Aufgaben von Lehrern und den Persönlichkeitsrechten der Schüler.
Ein entscheidendes Ziel der beiden im Rahmen der verschiedenen Reformen des Lehramtsstudiums eingeführten Praktika ist der Perspektivwechsel vom Schüler zum Lehrer. Die Schule nicht mehr mit ‚Schüleraugen‘ sondern mit ‚Lehreraugen‘ zu betrachten, sich nicht mehr wie ein Schüler zu bewegen und verhalten sondern wie ein Lehrer, ist ein entscheidender Schritt im Lehramtsstudium und im Referendariat. Der Begriff Schritt weckt hier allerdings falsche, weil zu kleine Assoziationen. Es ist vielmehr ein Sprung im doppelten Sinn, weg von der eindeutigen Schülersicht hin zur vieldeutigen Lehrerrolle – u.a. zwischen Studium und Praxis, zwischen Unterrichten und Erziehen, in der Verknüpfung der Erwartungen von Schülern, Eltern, (zukünftigen) Kollegen und Schulleitung.
Über die Schwelle des Lehrerzimmers zu treten, erscheint daher nur als ein erster kleiner Schritt. Als Praktikantin oder Praktikant sind Sie im Lehrerzimmer richtig. Hier, nicht auf dem Pausenhof, ist jetzt Ihr Aufenthaltsort in den Pausen zwischen dem Unterricht. Hier, nicht auf dem Pausenhof, aber auch nicht in der einen, von der Kaffee-Ecke entferntesten Ecke, finden Sie Ihre neue peer group. Will man zur peer group gehören, muss man sich den Verhaltensnormen in gewisser Weise anpassen.
Dazu gibt es ein paar einfache Regeln.
- Benehmen Sie sich im Lehrerzimmer nicht wie Schüler im langweiligen Unterricht. Flechten Sie sich nicht gegenseitig die Haare. Spielen Sie keine Ballerspiele auf Ihrem Handy.
- Behandeln Sie die Lehrer wie Kollegen. Seien Sie freundlich, respektvoll, höflich, neugierig und offen.
- Bringen Sie weder einen Coffee to go noch Ihre Lektüre für die nächste Hausarbeit zum Hospitieren mit („weil Sie ja nichts tun müssen“).
- Nutzen Sie die Chance von vorne auf die Klasse zu blicken. Fragen Sie, ob Sie zu einer Unterrichtsstunde etwas beitragen können.
- Haben Sie Verständnis für Zeitnot oder Reserviertheit. Das Kerngeschäft an der Schule ist der Unterricht der Schüler und nicht die Ausbildung der Praktikanten.
- Machen Sie Ihr Praktikum an keiner Schule, an der Sie Schüler kennen – auch als Hausaufgabenbetreuer.
- Es schadet nichts, sich im Lehrerzimmer an einer Kaffeetasse festzuhalten.
Glauben Sie mir, auf die Art und Weise laufen Sie nicht mehr Gefahr als Fremdkörper wahrgenommen zu werden. Sondern dann gehören sie dazu. Im Lehrerzimmer.
Ausbildungslehrerin an einem Gymnasium in Freiburg