Fachtagung „Bildungsforschung und Bildungspraxis im Dialog“

„Bildungsforschung und Bildungspraxis sind keine Gegensätze und dürfen keine Gegensätze sein. Sie sind die zwei Seiten einer gleichen Medaille.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Die Fachtagung „Bildungsforschung und Bildungspraxis im Dialog“ lockte am 19.09.2018 ca. 200 Teilnehmer*innen aus dem Bundesland an die Pädagogische Hochschule Freiburg.
In jährlichem Wechsel laden die lehrer*innenbildenden Standorte in Baden-Württemberg im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung zum Austausch über den Stand und die Perspektiven der Weiterentwicklung der Lehrer*innenbildung in Baden-Württemberg ein.

Im Rahmen der Freiburger Fachtagung wurden Modelle und Erfahrungen der praxisnahen Forschung zum Lehren und Lernen und die Einbindung dieser Forschung in die Lehrer*innenbildung aller Phasen und in die Schul- und Unterrichtsentwicklung vorgestellt und diskutiert. Den Teilnehmer*innen wurde ein spannendes Programm aus hochkarätigen Vorträgen, Vernetzungsangeboten, Workshops und Diskussionsgruppen geboten. Insbesondere der Eröffnungsvortrag von Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann zum Thema „Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule im Lichte der Reform der Kultusverwaltung“ lockte viele Besucher*innen in die Aula der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Im Mittelpunkt der Fachtagung standen folgende Leitfragen:

  • Warum sind Forschung zu Schule und Unterricht für die Praxis relevant und nützlich?
  • Wie kann die Praxis in die Forschung eingebunden sein?
  • Wie können Hochschulen zur Qualifizierung von Multiplikator*innen (Fachberater*innen, Lehrerausbilder*innen) beitragen?

Etwa 200 Teilnehmer*innen folgten der Einladung des FACE und kamen zum Austausch über den Stand und die Perspektiven der Weiterentwicklung der Lehrer*innenbildung in Baden-Württemberg in Freiburg zusammen. In den Foren traten Vertreter*innen der lehrer*innenbildenden Standorte, der Zentren für Lehrer*innenbildung, der Staatlichen Seminare, Fortbildner*innen sowie Vertreter*innen der Kultusbehörden des Landes Baden-Württemberg in den Dialog.

Eröffnet wurde die Tagung vom Rektor der Pädagogischen Hochschule Freiburg Prof. Dr. Ulrich Druwe, der betonte, dass die diesjährige Fachtagung nicht nur den Austausch zwischen den lehrer*innenbildenden Hochschulen fördern will, sondern sich explizit auch an Akteure der zweiten und dritten Phase der Lehrer*innenbildung richtet. Zunächst ging der Rektor auf bestehende Kooperationen mit den Vertreter*innen der Praxis am Standort Freiburg ein, bevor er einen Blick in die Zukunft warf:

„Wie stellen wir uns unsere Zukunft vor? […] Wir hoffen natürlich auf eine systematische Zusammenarbeit zwischen den Ministerien, insbesondere dem Kultusministerium, und den Hochschulen zur Entwicklung, zur Auswahl, zur Koordination von Förderprogrammen, Modellversuchen, Fortbildungsprogrammen. Wir wünschen uns eine Institutionalisierung bei der Zusammenarbeit bei der wissenschaftlichen Qualifikation von Multiplikatoren, also Fachberater und Lehrerausbildner. Hier bringen wir in Freiburg auch schon Erfahrung ein, wie dies praxisnah und wissenschaftlich fundiert geschehen kann. Und wir hoffen natürlich auf eine enge Zusammenarbeit mit den zentralen und dezentralen regionalen Zentren für Schulqualität und Lehrerbildung”
Prof. Dr. Ulrich Druwe, Rektor Pädagogische Hochschule Freiburg

Sehen Sie hier das Grußwort von Prof. Dr. Druwe im Video:

Die enge Kooperation von Pädagogischer Hochschule und Universität Freiburg zeigte sich, wie bei allen FACE-Veranstaltungen, auch im Programm oder mit den Worten von Prof. Dr. Druwe „Wir machen im FACE immer alles im Duo“. So stellt Prof. Dr. Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Studium und Lehre an der Universität Freiburg, im Anschluss die neu gegründete School of Education FACE vor.

„Uns war es wichtig, die Lehrerbildung auch institutionell zu festigen. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, zum 01. Oktober 2018 aus dem bestehenden Netzwerk FACE eine von Universität und Pädagogischer Hochschule gemeinsam getragene School of Education zu gründen. Den bereits bekannten und etablierten Namen FACE, Freiburg Advanced Center of Education, haben wir dabei beibehalten. […]
Durch die School of Education FACE wachsen die beiden Hochschulen mit ihren spezifischen Stärken im Bereich der Ausbildung und Qualifizierung von Lehramtsstudierenden, aber auch, dass ist mir besonders wichtig, bei der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern und in der Bildungsforschung sowie der Nachwuchsförderung noch enger zusammen. Auf diese Weise können vorhandene Potenziale der Vertragspartner im Bereich der Lehrerbildung optimal genutzt und eine Kultur des gegenseitigen Austauschs weiter etabliert werden.“
Prof. Dr. Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Studium und Lehre, Universität Freiburg

Sehen Sie hier das Grußwort von Prof. Dr. Besters-Dilger im Video:

Prof. Dr. Timo Leuders, Prorektor für Forschung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, führte inhaltlich in das Tagungsthema ein und weckte Neugier und Vorfreude auf die weiteren Programmpunkte. Zunächst verdeutlichte er, dass Dialog und Kooperation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis auf vielen Ebenen stattfindet:

„Wir müssen wissen, dass wir von einem komplexen Raum sprechen, in dem es verschiedene Ebenen gibt. Bildungsforschung ist nicht Bildungsforschung und auch Bildungspraxis hat ihre Strukturen und Ebenen. Wer kommuniziert im Dialog mit wem worüber?“
Prof. Dr. Timo Leuders

Nach einem Überblick über die verschiedenen Ebenen des Dialogs zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis ging Prof. Dr. Leuders auf die zentralen Fragen der Tagung ein: Was bietet Bildungsforschung? Wie entsteht Forschungswissen für die Praxis? Und wie wird Wissenschaft in der Praxis genutzt?

Mit Blick auf die Ebene des Unterrichts, aber auch treffend in Bezug auf alle Ebenen, beschreibt Prof. Dr. Leuders schließlich die Rolle, die Bildungsforschung für die Bildungspraxis spielen könnte:

„Die Unterrichtspraxis ist so komplex, dass man wissenschaftliche Aussagen und Befunde benutzen kann, aber man muss sie immer verbinden. Man muss fünf Entscheidungen gleichzeitig treffen und abwägen, welche einem in welcher Situation wichtiger ist. […] Die Wissenschaft liefert Informationen, nimmt einem aber keine Entscheidung ab. […] Insofern stehen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht da und sagen: „Hört mehr auf uns“. Sondern nur: „Vergesst uns bei den Entscheidungen nicht.“ [] Das ist die Logik hinter unser heutigen Tagung. Lassen sie uns darüber sprechen, an welchen Stellen Wissenschaft welche Rolle spielen kann […], wo nützlicher Austausch, nützliche Zusammenarbeit stattfindet.“
Prof. Dr. Timo Leuders

Prof. Dr. Leuders leitete schließlich zu den folgenden drei Vorträgen über, die die Chancen und Herausforderungen des Dialogs von Forschung und Praxis aus drei verschiedenen Perspektiven ausloteten. Zuvor genossen die Gäste ein musikalisches Intermezzo: zwei Studierende der Pädagogischen Hochschule Freiburg präsentierten am Klavier und am Cello „Der Schwan“ aus dem „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns.

Sehen Sie hier die Tagungseinführung im Video:

Dem Eröffnungsvortrag von Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, zum Thema „Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule im Lichte der Reform der Kultusverwaltung“ folgten alle Tagungsteilnehmer*innen gebannt. Die Kultusministerin hob zunächst die zentrale Bedeutung des Tagungsthemas in Ihrer Arbeit hervor:

„Bildungsforschung und Bildungspraxis sind keine Gegensätze und dürfen keine Gegensätze sein. Sie sind die zwei Seiten einer gleichen Medaille. Ein zentrales Anliegen und ein zentrales Arbeitsfeld meines Hauses ist die Ausgestaltung dieser zwei Seiten einer Medaille, die Ausgestaltung des konkreten Miteinanders, die wir ganz zentral in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt haben.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Ein zentrales Ziel der Reform der Kultusverwaltung ist die Systematisierung der Zusammenarbeit zwischen Schule und Hochschule, zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis.

„Wir brauchen einen festgelegten, systematisierten Schulterschluss von Theorie und Praxis. Und deshalb ist es ein ganz klares Ziel unseres Qualitätskonzeptes, […] dass sich Bildungspolitik, aber vor allem Unterrichtspraxis, Lehrerbildung, Schulberatung künftig stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten. Auf dieser Basis werden wir die Kultusverwaltung zum 01.01.2019 weiterentwickeln und zwei neue Institutionen begründen, zum einen das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, zum anderen das Institut für Bildungsanalysen. Beide Institute haben die klare Aufgabenstellung, eine konsequente Wissenschaftsorientierung in allen Bereichen zu implementieren.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Die Vorstellung der Aufgabenbereiche des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) sowie des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) verdeutlichte, wie diese Aufgabe umgesetzt werden soll:

„Das IBBW wird künftig auch ein zentraler Ansprechpartner für die Schulen und die Schulverwaltung einerseits, aber auch für die Hochschulen auf der anderen Seite sein, um den wechselseitigen Transfer zwischen bildungswissenschaftlicher Forschung und bildungspraktischen Handlungsfeldern konkret zu vernetzen und ineinander greifen zu lassen.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

„Das ZSL soll künftig den Rahmen dafür bilden, dass wir gemeinsam in den Hochschulen im Bereich der Lehrerbildung ein kohärentes, wissenschaftsbasiertes und auf Unterrichtsqualität fokussiertes Ausbildungs-, Fortbildungs- und Unterstützungssystem einbinden können.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

In den Aufgabenbeschreibungen beider Institutionen, sowohl des IBBW als auch des ZSL, ist damit Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern explizit festgeschrieben und sowohl themen- wie projektbezogen, aber auch strukturell vorgesehen.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Dr. Eisenmann resümierte, dass nur im gemeinsamen Dialog die Qualität von Schule und Lehrerbildung nachhaltig verbessert werden kann.

„Wir bleiben aufeinander angewiesen. Die wissenschaftliche, die bildungspolitische und die bildungspraktische Seite. Und ich glaube, der Spruch „Gemeinsam sind wir stark“ gilt in diesem Zusammenhang ganz besonders. Die Bildungspraktiker profitieren […] von den fundierten Erkenntnissen der Wissenschaft. Und die Wissenschaft ist natürlich gut beraten, sich von den Pädagogen und Pädagoginnen aus der Alltagspraxis beschreiben und analysieren zu lassen, wie Konzepte im Stresstest, und täglicher Unterricht ist Stresstest, und mit Blick auf die Erfordernisse der Schülerinnen und Schüler funktionieren oder eben auch nicht. Nur aus diesen beiden Seiten der Medaille entstehen Angebote, mit denen die Qualität der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern mit Sicherheit nachweislich verbessert werden kann.“
Dr. Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Sehen Sie hier den Eröffnungsvortrag im Video:

Prof. Dr. Jörg Wittwer ist aktuell Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität und Mitglied des Gemeinsamen Studienausschuss der School of Education FACE. In seinem Vortrag ging er auf die zentralen Herausforderungen in der Kommunikation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis ein.

„Die Bildungsforschung kann durch die Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse als rationale Grundlage für das professionelle Handeln in der Praxis dienen. Im Dialog zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis werden wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt. Das Ziel ist nicht, wie Prof. Dr. Leuders bereits sagte, den Praktiker*innen Entscheidungen abzunehmen, sondern Hilfestellung zu geben und das Problembewusstsein zu schärfen.“
Prof. Dr. Jörg Wittwer

Die Kommunikation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis findet unter besonderen Rahmenbedingungen statt: In dem Vortrag wurden die Logik der Bildungsforschung und die Einstellung der Bildungspraxis zu Bildungsforschung und Bildungsthemen als zwei wichtige Rahmenbedingungen thematisiert. Die daraus entstehenden Herausforderungen für eine gelingende Kommunikation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis wurden aufgezeigt und Vorschläge zur erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderungen diskutiert. Abschließend wurde beispielhaft dargestellt, wie die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Bildungspraxis bei Lehrkräften gefördert werden kann.

Im Fazit resümierte Prof. Dr. Wittwer, dass die Kommunikation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis verbessert werden kann, z.B. indem über die Logik der Bildungsforschung informiert wird, d.h. über die Arten von Wissen, die die Bildungsforschung produzieren kann und wie dieses Wissen generiert wird. Man kann in der Kommunikation aufzeigen, welches Potenzial die Bildungsforschung hat, um Mythen und Legenden aus der Praxis aufzudecken. Im Dialog sollte darauf hingewirkt werden, das Vertrauen in die Erkenntnisse der Bildungsforschung zu stärken. Zugleich bedarf es weiterer Forschung:

„Ich habe jetzt viele Beispiele aus der Forschung präsentiert und es könnte eventuell der Eindruck entstehen, dass die Kommunikation zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis bereits gut untersucht ist. Das ist aber definitiv nicht der Fall. Wir stehen erst am Anfang. Es ist noch viel zu tun.“
Prof. Dr. Jörg Wittwer

Prof. Dr. Hans-Georg Kotthoff ist seit 2004 Professor für “Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt International Vergleichende Bildungsforschung” im Institut für Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg und seit 1. Oktober 2018 Geschäftsführender Direktor der School of Education FACE. In seinem Vortrag schilderte er internationale Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis.

Aus internationaler Perspektive betrachtet, steht die Zusammenarbeit zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis in den meisten Bildungssystemen vor ähnlichen Herausforderungen und wird international durch verschiedene Konzepte zu optimieren versucht. Im Vortrag wurde am Beispiel der USA untersucht, inwiefern durch die dort etablierten ,Research-Practice Partnerships‘ (RPPs) Barrieren für die Nutzung von Ergebnissen der Bildungsforschung durch die Bildungspraxis überwunden werden sollen.

„Obwohl sich die Qualität und Stringenz der empirischen Bildungsforschung in den USA durch verschiedene staatliche Gesetzesinitiativen und Programme in den letzten 15-20 Jahren verbessert hat, wird sie von den Vertreterinnen und Vertretern der Bildungspraxis immer noch als weit entfernt von der Realität des Klassenzimmers, als nicht relevant, nicht anwendbar, wenig praxisbezogen und schwer zugänglich beschrieben. Offenbar reicht die Steigerung der Qualität der Bildungsforschung alleine nicht aus, sondern muss durch Maßnahmen ergänzt werden, die auch die potentiellen ‚Abnehmer‘ und ‚Nutzer‘ dieser Forschungsergebnisse in den Blick nehmen. In den USA soll dies durch die Gründung sogenannter ‚research-practice-partnerships‘ (RPPs) erreicht werden.“
Prof. Dr. Hans-Georg Kotthoff

Durch die Gegenüberstellung von Wirkungshoffnungen und empirischen Studien zur Wirksamkeit der RPPs wurden Impulse zur Überwindung der Kluft von Bildungsforschung und Bildungspraxis generiert. Auf der Basis dieser internationalen Erfahrungen wurden abschließend Empfehlungen für eine produktivere Zusammenarbeit von Forschung und Praxis diskutiert.

„Der Erhalt der Partnerschaft zwischen Bildungspraxis und Bildungsforschung bedarf fortwährender Anstrengung und Aufmerksamkeit. Nach den US-amerikanischen Erfahrungen sind insbesondere die Herstellung und der Erhalt von Vertrauen essentiell für eine erfolgreiche Partnerschaft. Vor allem stetige Kommunikations- und Aushandlungsprozesse sind zentral, um den gegenseitigen Nutzen für die beteiligten Partner zu gewährleisten. Solche Prozesse sind vor allem dann unerlässlich, wenn hohe personelle Fluktuationsraten die ständige Neudefinition von Rollen und Verantwortlichkeiten erforderlich machen und Vertrauen immer wieder neu aufgebaut werden muss. Die Erwartung, dass eine erfolgreiche Kooperation ohne unterstützende Infrastruktur aufgebaut werden kann, ist nach den amerikanischen Beobachtungen eine der häufigsten Ursachen für das Scheitern der Partnerschaft.“
Prof. Dr. Hans-Georg-Kotthoff

Sehen Sie hier den gesamten Vortrag mit Präsentation im Video:

Nach dem gemeinsamen Mittagessen in der Mensa der Pädagogischen Hochschule hatten alle Tagungsteilnehmer*innen am Nachmittag die Gelegenheit, sich in fünf zum Teil parallel stattfindenden Foren auszutauschen. Die Ergebnisse wurden in der Abschlussdiskussion jeweils von Teilnehmer*innen der Foren für das Plenum zusammengefasst.

 

Die Arbeit in den Foren war geprägt vom Austausch zwischen den Akteuren der beteiligten Institutionen und der Positionierung dieser im Forschungsfeld. Immer wieder wurde betont, dass eine umfassende Kommunikation der Institutionen für eine gelingende Zusammenarbeit unbedingte Voraussetzung ist. Es lohnt sich die Stärken der Akteure aber auch in deren Unterschiedlichkeit zu sehen, nur so ist es möglich, dass Studierende von den Stärken der Mehrphasenausbildung optimal profitieren.

A) Berufsbegleitende Weiterbildung von Lehrkräften: Herausforderungen und Modelle

In diesem Forum wurden Erfahrungen mit bestehenden Fortbildungsmaßnahmen ausgetauscht und Anforderungen an die Kooperation von Schule und Hochschule bei der Entwicklung künftiger Lehrkräftefortbildungen formuliert.

Beteiligte Projekte:

  • A1: Weiterbildung im Bereich Wirtschaft durch blended-learning in Kooperation von Kultusministerium und Hochschule (Prof. Dr. Franziska Birke, Prof. Dr. Tim Krieger, FACE Freiburg)
  • A2: Das Projekt „Studierende machen Schule!“ als Modell zur berufsbegleitenden Weiterbildung: Ergebnisse einer Interviewstudie zur Kooperation (Dr. Thomas Wiedenhorn, Markus Janssen, Pädagogische Hochschule Weingarten)
  • A3: Verschränkung von Fachwissenschaft und Fachdidaktik in der Weiterbildung – Chancen und Herausforderungen (Dr. Christiane Wienand, Lisa Jacob, Heidelberg School of Education)
  • A4: Das Ludwigsburger Konzept der Lehrerweiterbildung (LUWE) zu Deutsch und Mathematik (Prof. Dr. Stefan Jeuk, Prof. Dr. Martin Fix, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

Am Beispiel von regionalen Fortbildungen, zentralen Weiterbildungen und einer landesweiten Fortbildung wurde die Frage erörtert: Wie gelingt berufsbegleitende Weiterbildung?

Die Antwort gab eine Teilnehmerin des Forums in der Abschlussdiskussion:

„Wann gelingt es? Wenn die strukturellen Anreize für alle Akteure stimmen, also sowohl auf Lehrerebene als auch auf Hochschulebene. Und wenn die Kommunikation zwischen allen beteiligten Akteuren aufgenommen wird und gut läuft, zwischen Lehrern, Schulleitern, Hochschule, RP, Seminar, und die Beteiligten wirklich darüber sprechen, was die Lehrer eigentlich wollen.“

B) Qualifizierung von Multiplikator*innen in der Lehrer*innenbildung

Die Forumsteilnehmer*innen tauschten ihre Erfahrungen aus der Multiplikator*innnenqualifizierung aus und diskutierten mögliche Modelle für Baden-Württemberg.

Beteiligte Projekte:

  • B1: Berufsbegleitender Master-Studiengang Unterricht und Schulentwicklung (MUSE) (Prof. Dr. Wolfram Rollett, Dr. Patrick Blumschein, Saskia Opalinski, FACE Freiburg)
  • B2: Berufsbegleitender Master-Studiengang Mathematikdidaktik für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Kooperation von DZLM, IPN, CAU und IQSH – am Beispiel des Moduls Bildungsforschung für die Fortbildung (Prof. Dr. Timo Leuders, Dr. Andreas Schulz, FACE Freiburg)
  • B3: MultiplikatorInnenausbildung im Projekt PRIMAS (Prof. Dr. Katja Maaß, FACE Freiburg)

Es wurden verschiedene Weiterbildungsprojekte vorgestellt, in denen die Teilnehmer*innen sich berufsbegleitend weiterqualifiziert haben. Ein Teilnehmer des Forums fasste seinen Eindruck in der Abschlussdiskussion zusammen:

„Der Zugewinn bestand darin, dass die Lehrerinnen und Lehrer eine höhere Professionalisierung hatten. Und für mich war überraschend, dass sie mit mehr Fragen aus dem Unterricht gegangen sind, als sie zu Beginn hatten, weil sie durch die Weiterbildungen einen differenzierteren Blick hatten.“

Diskutiert wurden zudem die Bedeutung von Wissenschaftlichkeit in dieser Ebene und die Frage des Ausgleiches für dieses Engagement z.B. durch eine Deputatsreduktion. Auch wurde erörtert, inwiefern sich dieses Ausbildungskonzept in das System integrieren lassen könnte, indem die Ausbilder*innen und Fortbilder*innen an den Seminaren in den Bereichen Schulentwicklung und im didaktischen Bereich eine hochgradige Qualifizierung erwerben.

C) Forschungsbasierte Entwicklung von Lehrkräftefortbildungen

Das Forum C diente dem Austausch von exemplarische Erfahrungen und Ergebnissen aus laufenden und abgeschlossenen Promotionskollegs für die Lehrer(fort)bildung. Es wurden mögliche Konsequenzen für künftige forschungsbasierte Lehrerfortbildung diskutiert.

Beteiligte Projekte:

  • C1: Ergebnisse aus dem Promotionskolleg ProfiL (hochschulübergreifendes Forschungs- und Nachwuchskolleg der Pädagogischen Hochschulen Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Ludwigsburg und Weingarten)
  • C2: Auf welcher Grundlage lässt sich ein fundiertes Angebot für Lehrkräfte entwickeln? – Konzeption, Durchführung und Evaluation von Lehrerfortbildungen mit Hilfe von Forschungsergebnissen (Evamaria Werner, Patrick Fleck, Tübingen School of Education)
  • C3: Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung in Baden-Württemberg. Eine systematische Analyse des Angebots (Karen Johannmeyer, Prof. Dr. Colin Cramer, Dr. Martin Drahmann, Tübingen School of Education)

Im Fokus der Diskussion stand die Frage: Was nützt Professionalisierungsforschung, die die Entwicklung, Evaluation und Begleitung von Fortbildungen systematisch beforscht, dem System und den Personen?

Eine Teilnehmerin des Forums aus der Schulpraxis resümierte:

„Zunächst mal gehe ich hier mit einer Zufriedenheit über die Expertise heraus, die bereits in die Forschung von Lehrerfortbildung gesteckt wird.“

So wurden im Forum Forschungsergebnisse diskutiert zur Dauer von Fortbildungen, zur Begleitung und zur Frage des Bedarfs. Ein Wunsch aus der Schulpraxis war, dass im Anschluss an Fortbildungen Zeit für Reflexion und kollegiales Feedback zur Verfügung stehen sollte, insbesondere vor dem Hintergrund, dass häufig nur eine Lehrerin oder ein Lehrer aus dem Kollegium die Fortbildung besuchen darf. Zuletzt wurde in der Abschlussdiskussion betont, dass es bereits viel Wissen zur forschungsbasierten Gestaltung von Fortbildung gibt, aber letztlich die einzelne Fortbildung im Zentrum stehen sollte:

„Was kann diese eigentlich leisten? Welches Defizit soll sie schließen oder welche Kompetenzen entwickeln? Und wie muss daraufhin das Format aussehen? Und nicht umgekehrt. Also darüber nachzudenken, wie kann man forschungsbasiert das optimale Format für eine Fortbildung wählen?“

D) Kooperation der ersten und zweiten Phase der Lehrer*innenbildung: Modelle und Erfahrungen

In diesem Forum tauschten sich verschiedene Standorte über ihre Strukturen und Maßnahmen aus und formulierten Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Visionen für Baden-Württemberg.

Beteiligte Projekte:

  • D1: Kooperation zwischen Hochschule und Staatl. Schulseminar am Beispiel des Schulpraktikums im Lehramtsstudiengang Politikwissenschaft der Universität Stuttgart (Dr. Martin Kenner, Dr. Svitlana Mokhonko, Prof. Dr. Christine Sälzer, Universität Stuttgart)
  • D2: Phasenübergreifende Kooperation am Standort Tübingen: Kritisch-reflexive Relationierung von Wissenschaft und Praxis (Prof. Thorsten Bohl, Tübingen School of Education, Prof. Heiner Krämer, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasium) Tübingen)
  • D3: Systematischer Einsatz von Portfolioarbeit in der Lehrerbildung am Beispiel des ‚Tübinger Portfolio Lehrerbildung‘ (Lina Feder, Prof. Dr. Colin Cramer, Tübingen School of Education)
  • D4: Phasenübergreifende Abstimmung zwischen Hochschule und Studienseminar am Standort Freiburg (Imke Broß, Silke Donnermeyer, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasium) Freiburg, Jun.-Prof. Dr. Thamar Voss, Prof. Dr. Jörg Wittwer, Prof. Dr. Matthias Nückles, FACE Freiburg)
  • D5: Das Portfolio in der Freiburger Lehrerbildung (Martina Graichen, Christina Schuba, Prof. Dr. Matthias Nückles, FACE Freiburg) (Projekt wurde nicht vor Ort präsentiert)

Im Mittelpunkt stand die Kooperation der Akteure der ersten und zweiten Phase, v.a. mit Bezug auf die Praxisphasen, aber auch mit Ausblick auf das Referendariat. Prof. Silke Donnermeyer (Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymnasium) Freiburg), die gemeinsam mit Prof. Dr. Leuders (FACE Freiburg) durch die Abschlussdiskussion führte, griff die Beschreibung eines Teilnehmers des Forums auf:

„Beide Institutionen haben einen harten Kern und der ist eigen und hart in dem Sinne, dass die Aufgaben, die dort bestehen, nicht diskutierbar oder veränderbar sind. Aber gleichzeitig haben wir auch eine Überschneidung.“

In Bezug auf die vorgestellten Projekte der Zusammenarbeit von Hochschulen und Seminaren resümierte ein Teilnehmer des Forums:

„Eine schöne Anregung war für mich, dass es darum geht, in der Kooperation gemeinsam ein Arbeitsprojekt zu starten und von Beginn an etwas zusammen zu entwickeln, […], dafür zu sorgen, dass der Blick in die gleiche Richtung geht und nicht mehr in unterschiedliche Richtungen. Wir haben gehört, dass damit auch ein neuer Blick auf die Lehrerbildung möglich ist. Das erschien mir als eine wichtige Message.“

Selbstkritisch stellte man sich die Frage nach den Herausforderungen von solchen Kooperationen. Benannt wurden zur Verfügung stehende Ressourcen, die Schwierigkeit eine gemeinsame Sprache zwischen Wissenschaft und Praxis zu finden und schließlich das „Aufbrechen von traditionellen Gewissheiten, von subjektiven Theorien, die aufgrund eigener Erfahrungen relativ stabil sind“.

In der Diskussion wurde zudem festgehalten, dass sich die Seminare nicht als die Praktiker sehen, als die sie an der Hochschule oft wahrgenommen werden, sondern als einen weiteren Baustein in der Lehramtsausbildung.  Während die Beforschung und Entwicklung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Theorien schwerpunktmäßig an den Hochschulen verortet ist, sehen die staatlichen Seminaren ihre Stärke u.a. in der konzeptionellen Arbeit.

E) Professionelle Lerngemeinschaften: Forschende Zusammenarbeit mit der Praxis

Projekte an verschiedenen Standorten tauschten sich in Forum E über ihre Erfahrungen bei der Einrichtung und Umsetzung von Professionellen Lerngemeinschaften aus. Dabei konnten Visionen für (unterschiedliche) Formen künftiger Zusammenarbeit von Schule und Hochschule formuliert werden.

Beteiligte Projekte:

  • E1: Lesson Study – Impulse für eine Kooperation zwischen Hochschule und Schule (Dr. Christiane Wienand, Prof. Dr. Anne Sliwka, Heidelberg School of Education) (Projekt wurde nicht vor Ort präsentiert)
  • E2: Grounded Action – Verbindung zwischen Theorie und Praxis basierend auf gewonnen Erkenntnissen aus der Grounded Theory (Sandra Langer, Pädagogische Hochschule Weingarten, Angelika Scherb, Mali-Gemeinschaftsschule Biberach)
  • E3: Freiburger Inklusive Schulbegleitforschung (FRISBI) – kooperative Begleitung inklusionsorientierter Schulen (Jun.-Prof. Dr. Katja Scharenberg, Jun.-Prof. Dr. Andreas Köpfer, FACE Freiburg)

Prof. Silke Donnermeyer hob das Besondere an diesem Forum hervor:

„Das Spannende an Forum E war, dass die Hochschulen direkt mit Kollegen vor Ort an den Schulen zusammenarbeiten, also nicht über Mittler wie Fortbildner, Multiplikatoren oder die zweite Phase, sondern in einer direkten Kooperation zwischen Hochschule und den Kollegen in Professionellen Lerngemeinschaften.“

Für die Teilnehmer*innen des Forums wurde der Mehrwert solcher Kooperation sowohl für die Forschung als auch die Praxis deutlich. Jun.-Prof. Dr. Scharenberg, Teil der Forumsleitung, resümierte:

„Was ist das besondere an der Zusammenarbeit? Das Potential, unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliche Professionen zu haben. Multiprofessionalität war da, glaub ich, ein großes Stichwort.“

Ein Studierender, der am Forum teilgenommen hat, betonte, dass das Erleben der Verbindung von Forschung und Praxis für ihn sehr wichtig sei, insbesondere mit Blick auf die weitere Berufslaufbahn. Auf diese Weise bekommt man bereits im Studium einen anderen Zugang zum schulischen Feld und zum forschenden Lernen, auf den man dann im Referendariat und im Berufsleben aufbauen kann.

Fazit

Die Fachtagung regte alle Teilnehmer*innen zum Diskurs und zur Reflexion über die Zusammenhänge, Schnittstellen und Kooperationen von Bildungsforschung und Bildungspraxis an und machte deutlich, dass man sich den noch zu bewältigenden Herausforderungen nur gemeinsam stellen kann. So ist es mit Blick auf die unterschiedlichen Stärken und Schwerpunkte der an der Lehramtsausbildung beteiligten Akteure wichtig, den Dialog weiter zu pflegen und zu intensivieren. Die Gelegenheit dazu wird es u.a. bei der Fachtagung im nächsten Jahr geben, die von der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg ausgerichtet wird.

Jana Dornfeld

Weitere Informationen

“Freiburger Fachtagung „Bildungsforschung und Bildungspraxis im Dialog“ bringt Baden-Württemberger Akteure der Lehrerbildung zusammen”
– Artikel des Projektträgers der Qualitätsoffensive Lehrerbildung